Genau das machen wir, als die schönen Tage bei Omi Ruth zu Ende gegangen sind. Waren bis Hamburg noch Störche und vereinzelt auch Reiher unsere Begleiter auf den Elbwiesen, so sind es von nun an die Schafe (manche sind so an Radler gewöhnt, daß sie bei Betätigen der Klingel aus dem Weg gehen). Kilometer um Kilometer fahren wir vor oder hinter dem Elbdeich – je nach Laune ist beides möglich – zwischen diesen heftigst mit Mäharbeiten befaßten Tieren hindurch und um sie herum: Gatter auf, Gatter zu - mäh! Gatter auf, Gatter zu - mäh! Viel Strecke schafft man dabei nicht, aber es herrscht immer noch bester Sonnenschein und wer will da wohl klagen...
Pinnau und Krückau, zwei Nebenflüsse der Elbe, die von der Berufsschiffahrt genutzt werden, fließen durch Sperrwerke in die Elbe. Aus dem Bikeline-Führer sind uns die Öffnungszeiten zur Überfahrung dieser Anlagen bekannt, doch als wir ankommen herrscht bereits Ebbe und die Sperrwerksbrücken sind uneingeschränkt befahrbar – weit und breit kein Haferflocken-Dampfer und keine Teppich-Schuten in Sicht. Prima, da haben wir null Wartezeiten und erreichen am frühen Nachmittag bereits Kollmar, ein hübsches kleines Dorf hinter dem Deich, wo wir auf dem sehr gut geführten Campingplatz Elbdeich-Camping der Familie von Drahten bleiben und die Kinder am Hafenstrand in der Elbe baden (wie schön, daß dies nun wieder möglich ist, ohne hinterher sein Dasein als mit Quecksilber verseuchter Sondermüll fristen zu müssen).
Am nächsten Morgen drohen dicke Cumuluswolken mit Gewitter und Regen – aber sie drohen nur. Bis zum Mittag sind sie wieder fort und die Einfahrt nach Glückstadt, dem reizvollen Städtchen an der Elbe, wie auch die Überfahrt mit der Fähre nach Wischhafen verlaufen im prallen Sonnenschein. Linkselbisch angekommen, erteilt uns das Wetter eine echte Küstenlektion: Zwischen Wischhafen und Otterndorf bekommen wir Gegenwind der heftigen Sorte. Wir sind einerseits sauer über die nun gar nicht mehr enden wollende Strecke, wie auch andererseits froh über den Wind, denn ohne ihn wäre es wieder zu heiß gewesen, um vernünftig voranzukommen.
Unser Reisetempo verringert sich deutlich bei mindestens gleichbleibender Anstrengung und weiterhin andauerndem Durchfahren von Viehgattern. Im Unterschied zu gestern weiden hier nicht nur Schafe, sondern auch Jungbullen – und unser Großer muß natürlich gerade heute ein knallrotes Sportunterhemd tragen. Macht man sich da als gelernter Großstädter nicht schon mal Gedanken, ob das wohl gut geht? Nun, die Rindviecher stört das überhaupt nicht. Die sind offensichtlich rote Radfahrer gewohnt und mampfen ganz friedlich ihr Gras.
Alle sind vom Wind schon ziemlich geschafft, als wir in Hörne durch einen Zufall erfahren, daß das Ostesperrwerk derzeit nicht befahrbar ist (auch nicht für Radler) und wir nun auch noch einen fünf Kilometer langen Umweg über Geversdorf und die dortige Brücke fahren müssen. So kommt es am Hadelner Kanal aus Unachtsamkeit und Müdigkeit fast zu einem richtigen Sturz. Glücklicherweise endet der kleine Ausrutscher mit angeschlossenem professionellen Abrollen im den Kanal begleitenden Schilfgürtel... Neuerdings kann man sich übrigens im Internet vor Beginn der Reise über die Öffnungszeiten und über den Zustand von Bauarbeiten am Ostesperrwerk informieren: http://ostesperrwerk.neuhaus-oste.com
Otterndorf, nur etwa 25 km von Cuxhaven entfernt, mit seinem gepflegten Campingplatz “See achtern Diek” (großzügige, saubere Sanitäreinrichtungen; für Hygienefans gibt es sogar eine Stehtoilette) haben wir als letzte Zwischenstation gewählt, weil uns in Cuxhaven niemand ein Campingquartier zusichern konnte. Für die Hauptsaison nimmt man hier nur Reservierungen ab einer Woche an, und das auch nur in der Winterzeit. Danach ist für den nächsten Sommer ohnehin alles belegt. Also wollen wir recht früh dort ankommen, um wenigstens noch eine Chance auf einen Platz für die Zelte zu haben. Wenn es nicht sofort beim ersten Campingplatz klappen würde, hätten wir so genug Zeit, um verschiedene Alternativen auszuprobieren.
Doch zuvor heißt es wieder: Durch die Schafe! Das ist auf diesem Streckenabschnitt gar nicht so einfach, denn während wir zuvor immer die Gatter öffnen mußten, gibt es hier Treppen und kleine, steile Überfahrungen daneben. Für Radler ohne Gepäck kein Problem, für uns schon. Wir wuchten wohl an die zwanzig mal vier schwer bepackte Räder drei Treppchen hoch und auf der anderen Seite des Gatters drei Treppchen wieder runter. Dann endlich ist Cuxhaven in Sichtweite. Wir haben das Ziel der Elbetour erreicht und sind an der berühmten Alten Liebe, am Amerikahafen und am eigentlichen Wahrzeichen der Stadt, der Kugelbake, angekommen.
Jetzt rufen wir als erstes den Campingplatz Wattenlöper an, den wir bereits via Internet ausgesucht, aber aus Gründen terminlicher Unsicherheiten nicht reserviert hatten - und bekommen wirklich auf Anhieb einen Stellplatz zugesichert. Das nennen wir Glück! Wanderer, die kurz nach uns dort ankommen, werden weitergeschickt. Der Platz - und alle anderen in der näheren Umgebung auch - ist proppenvoll. Da geht wirklich kein Zelt mehr hin. Und das ist auch kein Wunder, denn die Lage des Platzes ist super: Etwa 100 Meter bis zum Strand, gut 500 Meter bis zum Zentrum von Duhnen - was will man mehr...? Die sanitären Einrichtungen sind prima gepflegt und sauber, das Personal ist freundlich und einen Kiosk, bzw. Imbiss gibt’s auch.
Zwei Tage und den Rest von heute planen wir als Pause ein, denn wir wollen in der Nordsee baden, ein wenig im Watt laufen, Cuxhaven ansehen, mal eine Wattwagenfahrt nach Neuwerk machen - zu dem wohl am weitesten vom Hauptbahnhof entfernten Stadtteil Hamburgs - und drittens müssen wir den weiteren Verlauf unserer Reise planen. Wir hatten schließlich nicht Cuxhaven, sondern den Leuchtturm von Pilsum zum Reiseziel erklärt. Nur, außer einer älteren Fahrradkarte besitzen wir gar keine Unterlagen über den weiteren Reiseweg und hatten zu Hause lediglich einmal gesagt, daß wir in Bremerhaven für einen Tag das Deutsche Schiffahrtsmuseum besuchen wollten.
Bis auf die Wattwagenfahrt, die waren für viele Tage im Voraus ausgebucht und wir fuhren dafür kurzerhand nach Helgoland, lief dann auch alles so, wie gewünscht. Unter anderem fand sich ein Buchladen, in dem wir einen Bikeline-Führer “Nordeeküsten-Radweg” erstanden und damit unsere Reise fortsetzten. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes mal erzählt werden...