Am Sonntagmorgen regnet es immer noch mal wieder und es ist ziemlich kalt als wir durch das menschenleere Magdeburg Richtung Norden fahren. Der Weg ist gut ausgeschildert und wir freuen uns an dem schönen Herrenkrugpark, der uns an die Landschaftsparks bei Dessau erinnert. Die weitere Fahrt bis Alt Lostau führt uns immer in Sichtweite der Elbe durch Wiesen und Felder und stimmt uns sehr positiv auf die weitere Reise ein. Hinter Alt Lostau, kurz vor der Autobahnbrücke der A2 befindet sich der Weinberg, der mit 75 Metern Höhe zwar zunächst gar nicht besonders erwähnenswert erscheint, dessen Überfahrung mit Urlaubsgepäck (und dem Ehrgeiz, vom Rad nicht abzusteigen) jedoch mehr Kraft und Ausdauer erfordert, als zunächst eingeschätzt. Allerdings entschädigt der schöne Blick in die Umgebung, wenn man oben angekommen ist.
Es geht übrigens auch unten um den Berg herum, so wie es in unserem Bikeline-Führer von 1999 angegeben ist (in der Ausgabe 2000 sind beide Alternativen eingezeichnet). Das ist jedoch am Weg selbst nicht ausgeschildert! Man muß einfach am Bergfuß weiter geradeaus fahren und nicht nach rechts den Berg hinauf; schon bleibt man unten und beide Wege kommen knapp vor der Autobahnbrücke wieder zusammen. (Der untere Weg ist an der Abzweigung allerdings eher als Trampelpfad auszumachen, da die meisten Nutzer offensichtlich über den Berg gehen oder fahren.)
Hinter Niegripp ist Achtung angesagt. Wer den Abstecher nach Burg machen will, sollte unbeirrt aller Wegweiser an der Straße bleiben. Anderenfalls wird er durch schöne Wiesen- und Deichstrecken geradezu im Zickzack durch die zweifellos reizvolle Landschaft geführt und merkt erst in Schartau, daß er Burg bereits weiträumig umfahren hat.
Eigentlich wollen wir auf dem rechten Elbufer bleiben und bis Derben bzw. Ferchland auf dem Elbdeich fahren, um dann mit der Fähre nach Grieben überzusetzen, Ziel Campingplatz Bittkau. Ein Ortskundiger rät uns jedoch von diesem Vorhaben ab, da die Schleuse Parey so eng sei, daß man das Gepäck und die Räder jeweils einzeln hinübertragen müsse. Auch empfiehlt er uns, von der Abkürzung durch den Zibbericker Wald an der Alten Elbe entlang Abstand zu nehmen, da die Strecke extrem sandig sei und man mit viel Gepäck einsinke oder zumindest nur beschwerlich schieben könne. So mit gutem Rat beladen nehmen wir also die Fähre nach Rogätz und wollen uns die Abkürzung dennoch erst einmal ansehen. Da wir früher auch schon mit und ohne Gepäck viele Kilometer in der Lüneburger- und auch in der Südheide bei Celle unterwegs waren, schrecken uns Sandwege eher weniger. Ja, und die vermeintliche Mahlsandstrecke erweist sich dann auch geradezu als gemütlicher Heideweg mit romantischen Ausblicken auf die Alte Elbe; weshalb wir den Verdacht hegen, unser freundlicher Ratgeber sei wohl der Inhaber einer Gaststätte in Mahlwinkel gewesen, die er uns - so ganz nebenher – auch noch als günstiges Nachtquartier empfohlen hatte... Wir fahren jetzt jedenfalls leicht amüsiert über diese Angelegenheit direkt nach Bittkau und bleiben dort für die Nacht.
Aber es beginnt bereits am Abend zu regnen, regnet mit kurzen Unterbrechungen die ganze Nacht hindurch – nicht viel, aber immer so eben weg – und will auch am Morgen nicht enden. So packen wir nach einiger Zeit des Hoffens auf besseres Wetter doch die nassen Zelte ein und fahren wieder los. Angeregt durch den Bikeline-Führer wollen wir in Jerichow die romanische Klosterkirche anschauen und setzen daher zunächst einmal mit der Fähre nach Ferchland über. Da es immer noch regnet und die Temperatur weiter sinkt, pendelt sich unsere Lust auf touristische Sonderleistungen immer mehr bei null ein. Als wir dann in Jerichow anläßlich eines kurzen Stops am Supermarkt auch noch von den Einheimischen wie die Mondmenschen bzw. wie fahrendes Volk beglotzt werden, ist unsere Sympathie für Jerichow nahe dem absoluten Nullpunkt angelangt. Jetzt muß die Kirche schon richtig was bieten! Tut sie aber nicht. Das schöne Backsteinportal ist nur von einem ehemaligen DDR-Rinderzuchtbetrieb aus zu sehen, den man offiziell gar nicht betreten oder befahren darf (was wir natürlich trotzdem machen) und in der Kirche selbst läuft eine Veranstaltung.
Außerdem sind wir durch und durch naß und frieren. Somit fahren wir zurück zur Straße und suchen den Elberadweg. Kein Schild zu sehen. Dann also einfach so weiter nach Fischbeck. Und das war unser großer Fehler! Wir fahren die B 107 entlang und bemerken überhaupt nicht, daß der richtige Weg wohl durch das erwähnte Rinderparadies geführt hätte. Völlig entnervt vom Verkehr (wie letztes Jahr: Ein Lob den LKW-Kapitänen, die PKW-Fahrer waren offensichtlich alle auf der Flucht) erreichen wir Fischbeck und finden uns plötzlich in “guter Gesellschaft” wieder: Allerlei andere Radler irren hier durch die Gegend und finden nicht mehr auf den rechten Weg. Wir irren nicht umher, sondern folgen – stur, wie wir sind – immer weiter der “Altmark-Route”, erklimmen wie die Automaten bei nun nur noch einstelligen Temperaturen und Dauerregen die neue Elbbrücke und erkennen erst in Storkau, daß die im Bikeline-Führer ’99 angegebene Route nach Tangermünde gar nicht mehr ausgeschildert ist und wir an dem Ort einfach vorbeigefahren sind, ohne das zu bemerken.
In Billberge hört es auf zu regnen und wir fahren zum Campingplatz Wischer, in der Nähe von Arneburg. Endlich können die Zelte trocknen, wir duschen heiß und ein paar trockene Klamotten ebenso, wie ein wohlverdientes Alsterwasser (“Radler” für die Nicht-Hamburger) wirken Wunder bezüglich der Tagesstimmung!
Am nächsten Morgen scheint die Sonne und wir sind fest davon überzeugt, das war unser Regenquantum für den Rest der Reise! Jetzt bleibt es sonnig! Von Wischer nach Arneburg fahren wir frei Karte (über Sanne und Burs), erfreuen uns an allerlei Kuchen, die wir dort kaufen und inmitten der romantischen Altstadt verzehren. Unsere Stimmung ist prima!
Die offizielle Fahrtroute verläuft ab Arneburg ziemlich weit entfernt von der Elbe über Hohenberg-Krusemark und wir fragen uns – und schließlich auch die Leute in der Touristikinformation – ob es nicht auch einfacher, nämlich quer durch das Gewerbegebiet zwischen Dalchau und Altenzaun geht. Es geht, versichert man und gibt uns freundlicherweise eine entsprechende Detailkarte mit. Nun sind wir um so mehr gespannt, weshalb wir dort eigentlich nicht längs fahren sollen und machen uns auf den Weg.
Von weitem bereits wird ein rundes, rostiges, kesselartiges Etwas erkennbar, das irgendwie brutal und völlig unpassend mitten in der Landschaft zu stehen scheint. Ein Wasserspeicher? Eher nicht. Es sieht so völlig unfertig aus mit lauter Löchern in den Wänden, wie einstmals für Zu- und Abflußrohre gedacht. Dann schießt es uns durch den Kopf: Ein Atomkraftwerk russischer Bauart. Was wir sehen ist, war oder sollte ein Druckbehälter werden. Und richtig, nachdem wir uns trotz Detailkarte (offensichtlich die erste Auflage und die ist ja bekanntlich beliebig falsch) in dem Gebiet verfahren haben und die ansässige Feuerwehr befragen, bestätigen die Männer, was wir ahnten. Hier errichtete die DDR einst ein Kernkraftwerk. Fertig geworden ist es nie und jetzt wird es wieder entfernt. Nun, genau so sollte es nach unserer Ansicht mit diesen Dingern auch sein!
Für diejenigen, die es uns nachtun und furchtlos durch das Gewerbegebiet fahren wollen, sei gesagt, daß die Straßenführung im Bikeline-Führer ebensowenig stimmt, wie die Karte aus der Touristikinformation in Arneburg. Man fährt etwa 200 Meter westlicher als gegenüber vom Bahnhof Niedergörne (hier läßt die Deutsche Bahn zahlreiche Diesellokomotiven vergammeln, sonst scheint der Bahnhof eher unbenutzt zu sein) in das Gebiet ein und folgt einfach immer der um allerlei Kurven führenden Hauptstraße. Linker Hand bleibt die besagte Feuerwehr liegen und nach einer Rechtskurve quert man zweimal eine Bahnlinie. Danach immer weiter quer zur Ausdehnung des Gebietes bis an dessen nördlichen Rand und dann immer dem Plattenweg folgen, bis man in Altenzaun ankommt. Die noch überall eingezeichneten Kühltürme des Kraftwerkes sind mittlerweile gesprengt und abgeräumt. Die muß man als Orientierungshilfe nicht mehr suchen.
Im Büttnershof machen wir kurz eine Kaffeepause und überlegen, ob wir – entgegen unserer Absicht, die Fähre bei Röbel nach Havelberg zu nehmen - bereits hier die Elbe queren und Sandau einen Besuch abstatten. Ein Teil unserer Ahnen mütterlicherseits stammen von hier und ein Gang über den Ortsfriedhof wäre schon interessant gewesen. Allerdings erklärt man uns im Restaurant, daß die Fähre erst wieder ab morgen fahre, die sei zur Reparatur gewesen – und so lange wollten wir nicht warten.
Also weiter nach Röbel, wohin wir ab Neu Berge eine durch ein kleines Holzschild ausgewiesene Abkürzung fahren und nicht dem offiziellen Weg über Werben folgen, da sich ein Gewitter zusammenbraut und wir möglichst noch trocken das Zelt in Havelberg aufbauen möchten. Das gelingt uns auch, denn das Gewitter bleibt auf der anderen Elbseite (unser Quantum Regen hatten wir ja auch schon abgedient). Der Campingplatz heißt und befindet sich auf einer Spülinsel inmitten der Havel und damit direkt am kleinen Hafen der Stadt. Wir haben am Zaun des Areals aufgebaut und genießen unseren Logenplatz mit Aussicht auf einen Havelarm und die Hafenpromenade. Überhaupt hat uns Havelberg sehr gefallen. Es mutet ein wenig an, wie die kleinen dänischen Hafenstädte – etwa wie Sonderburg – mit hübschen, gepflegten Häusern und altem Baumbestand entlang der schmalen Straßen. Bei unserer kleinen Stadtrundfahrt bemerken wir aber, daß der Elberadweg offensichtlich ganz anders ausgeschildert ist, als bei uns im Radführer eingezeichnet. Wir beschließen trotzdem, den eingezeichneten Weg zu nehmen und evtl. sogar noch eine Abkürzung auszuprobieren, denn die geplante Tagesetappe für den nächsten Tag ist ziemlich heftig.
So fahren wir am nächsten Morgen zunächst wieder aus der Stadt hinaus in Richtung Fähre und biegen etwa auf halber Strecke zur Havelschleuse ab. Darüber hinaus fahren wir auf einer Insel zwischen Elbe und Havel nach Neuwerben. Es ist zwar landschaftlich schön hier, aber der Plattenweg ist eine Katastrophe und wir sind froh, als er bei einer Anzahl von Sperrwerken endlich endet. Allerdings ist eines der Sperrwerke gesperrt und der Übergang nur via Pionierbrücke möglich. Da diese aber ausschließlich über Treppen (auf beiden Seiten) zu erreichen ist und wir auf das Tragen der Ausrüstung nicht gerade erpicht sind, entscheiden wir uns für die erwähnte Abkürzung und fahren hinter dem ersten Sperrwerk auf einen Damm und dann hinauf zum Elbdeich. Damit radeln wir nun zwischen Elbe und Gnevsdorfer Vorfluter, auf einem guten Schotterweg mit phantastischer Aussicht zu allen Seiten, fast 10 Kilometer zum Gnevsdorfer Wehr (über dessen Passierbarkeit wir uns sicherheitshalber bei entgegenkommenden Radlern erkundigt hatten). Dieser Teil der Tour ist tatsächlich ein touristischer Höhepunkt!!
In Gnevsdorf hat man es mit den Radlern eigentlich gut gemeint, indem die Route über den Deich nach Bälow ausgeschildert ist – nur, wer die Störche in Rühstädt sehen will, kommt so gar nicht dorthin. Daher fahren wir die Straße entlang den kurzen Weg nach Rühstädt und besuchen im Ort das Storcheninformationszentrum. Hier hat fast jede Familie “ihr Storchenpaar” auf dem Dach und eine Holztafel am jeweiligen Zaun gibt - mit Akribie geführt - Auskunft über die Ankunfts- und Abflugtage, sowie die Anzahl der Nachkommen des Paares in jedem Jahr.
Wir fahren weiter Richtung Wittenberge, wobei wir ab Hinzdorf wieder von der offiziellen Route abweichen und auf dem Elbdeich weiter fahren. Wittenberge empfängt uns dann aber mit einer derart unerquicklichen Masse an verfallener Bausubstanz, mit schlechten bis schlechtesten Straßenzuständen und einem so miesen Ambiente, daß keiner in der Familie mehr in die Innenstadt fahren will: Bloß wieder weg hier! Auch der Abstecher in ein Café am kleinen Sportboothafen außerhalb der Stadt bessert den Eindruck nicht. Die Tassen sind unsauber und die Bedienung ist völlig überfordert: Zwei Kuchen mit Kaffee, sowie zwei Eis für die Kinder halten uns von der Bestellung bis zum Bezahlen fast 90 Minuten auf.
Es ist also schon ziemlich spät am Nachmittag als wir in Richtung Schnackenburg weiterfahren. Immer auf dem Elbdeich entlang, geht das jedoch mit leichtem Rückenwind recht zügig voran und wird mit herrlichen Aussichten in die Elblandschaft reichlich belohnt! In Lütkenwisch erreichen wir die Fähre nach Schnackenburg, der kleinsten Stadt Niedersachsens, und ziehen dort in das Gemeinschaftshaus ein (eine einfache aber saubere Unterkunft ohne Verpflegung, die von der Stadt betrieben wird). Der Westen (d.h. die sog. alten Bundesländer) hat uns wieder.