Gegen 5.30 Uhr morgens erkennen wir allerdings die benachbarte Fabrik als durchaus real und eben gar nicht ehemalig, als deren Bedienstete beginnen, inbrünstig, auf uns unsichtbar bleibenden, aber dem Ton nach großvolumigen, metallischen Hohlkörpern herumzuklopfen. Eine dergestalt abgebrochene Nacht mündet so zunächst ohne Frühstück direkt in das Verlassen des Campingplatzes ein, denn Brötchen oder sonstige Versorgungsmöglichkeiten gibt es hier nicht – man kann aber wohl in der Gaststätte frühstücken.
Nur, was ist ein Tag ohne Frühstück? Also kaufen wir in Prettin selbst ein paar Frühstücksutensilien und finden uns dazu in zwei winzigen Konsumläden wieder, die sich wie Wohnungen im Erdgeschoß eines Hauses gegenüberliegen, jeweils vollgestopft sind mit sich ergänzenden Lebensmittelsortimenten und deren Schaufenster mit dem dezenten Charme einer längst vergangenen Zeit durch Jalousien verhängt sind.
Überhaupt begegnen uns hier neben “Sauerheukutschern” (weiß der Himmel wofür man das stinkende, vergorene Zeug gebrauchen kann, das diese offenbar geruchsunempfindlichen Helden der Traktorfahrergilde ständig und in Massen an uns vorbeikarren), die meisten Trabbis und die wenigste frische Farbe an Häusern und Wänden auf unserer Fahrt. Man könnte meinen, die Menschen hier verstünden es meisterhaft, die Errungenschaften der letzten 10 Jahre vor Fremden zu verstecken, aber uns beschleicht viel mehr das wenig angenehme Gefühl, daß es die in Prettin eventuell gar nicht ausreichend gegeben hat und wir uns in einer armen, sog. strukturschwachen (will sagen: von Politik und Wirtschaft vergessenen) Region befinden.
Nach dem Frühstück geht die Fahrt nach Axien und weiter auf dem Riss-Wanderweg. Dazu entscheiden wir uns, nachdem wir in Gehmen die Hauptstraße verlassen haben und uns eine Wegtafel anzeigt, daß diese Alternative landschaftlich mindestens ebenso reizvoll sein müßte, wie die eigentliche Route und zudem noch um einige Kilometer kürzer ist als diese – was heute besonders die Kinder freut, denn die gestrige Strecke empfanden sie doch als etwas zu lang. Und tatsächlich: Am Ende des Weges, in Kleindröben, sind alle mit der Auswahl zufrieden.
Ab Klöden ist dann Hauptstraßefahren angesagt, was ziemlich nervig ist, da in dieser Gegend offensichtlich auch die LKWs keine Zeit haben und es fast zu einem Frontalzusammenstoß mit einem PKW beim allzu eiligen Überholen unserer Gruppe in einer Kurve kommt. Daher nehmen wir dankbar den Weg durch die Felder nach Elster an und fahren auch den im Radführer eingezeichneten kleinen Umweg bei Listerfehrda, um bloß nicht die Straße benutzen zu müssen.
In Elster machen wir Mittagsrast und stellen fest, daß der Fleischer keine warme Wurst verkauft und der von diesem empfohlene Bäcker, der auch einen Imbiß betreibt, mittags geschlossen hat – wieder mal sehr passend! Aber es gibt neben dem Fleischer noch einen weiteren Bäcker und der bietet warmen Speckkuchen sowie Kaffee zum Mitnehmen, so daß wir uns auf einer Bank oberhalb des Anlegers der Gierseilfähre stärken können für den Rest der Fahrt nach Wittenberg.
Dort treffen wir am frühen Abend ein und stellen fest, daß die Jugendherberge im Schloß nicht wie beschrieben im ersten Stock residiert, sondern im zweiten. Das heißt für uns in sechs Läufen á vier Wendeln mit jeweils 67 schnellen Stufen das Gepäck hinauftragen (4 x Satteltaschen, 4 x Iso-Matte und Schlafsack, zwei Zelte, einen Flötenkessel und eine Lenkertasche mit Papieren) und die Räder auf den Balkon im ersten Stock schaffen. Dann ziehen wir in ein geräumiges Familienzimmer mit schönem Blick über die Stadt ein.