Hinter Dagebüll braucht man wieder einmal neuere und bessere Karten, als wir sie mitgenommen haben, denn hier hat sich am Verlauf der Straßen einiges geändert. So hilft uns noch einmal unser Kompaß und das Nachfragen bei Wanderern, um ohne weitere Umwege durch den Marien Koog und weiter über Südwesthörn und Horsbüll nach Klanxbüll zu kommen. Von hier soll es eigentlich nach Rudbøl, dem vorgeplanten Anschlußort an den Bikeline-Führer für den Westküstenweg gehen, aber in Klanxbüll sehen wir einen Radwegweiser nach Højer und das ist der kürzere Weg nach Dänemark. Leider ist es wohl auch der langweiligere. Die Straßen sind lang und es gibt nur wenige Kurven. Häuser und Straßenbäume, also Schatten oder andere optische Anreize, gibt es nicht. So zieht sich die Fahrt hin und die Laune der Kinder verschlechtert sich zunehmend.
Dann die dänische Grenze! Man fährt auf den Deich hinauf und findet neben dem in Europa üblichen blauen Schild mit der Landesbezeichnung und den zwölf EU-Sternen ein sehr betagtes, verlassenes Häuschen, dem gegenüber ein weißer Briefkasten montiert ist. Über diesem eine Tafel, deren Text darauf hinweist, daß, wer zollpflichtige Waren dabei hat, bitte ein Formular in den Kasten werfen soll. Wir sind uns nicht ganz sicher, ob nicht neben dem Häuschen eine Kamera installiert ist, die sich vielleicht einschaltet, wenn der Briefkastendeckel betätigt wird, aber sonst ist hier weit und breit niemand zu sehen. So habe ich mir europäische Grenzen immer gewünscht!
Das Highlight der Grenze, die keine mehr ist, verfliegt rasch, denn nun ist der Weg noch langweiliger. Gab es in Deutschland noch wenigstens ab und an eine Kurve, ist die Straße hier wie mit dem Lineal gezogen: 10 Kilometer geradeaus durch den Ny Frederikskog sind es bis Højer. Und dann machen wir wieder einmal Bekanntschaft mit den dänischen Schotterstraßen. Kurz hinter Højer und Emmerlev kämpfen wir uns mit den schweren Rädern durch die Kieselsteine. Ohne Gepäck hatten uns diese Straßen in vergangenen Jahren, in denen wir Dänemarkurlaube gemacht hatten, nie besonders aufgeregt. Mit Urlaubsgepäck sinken wir aber erheblich tiefer in die Steine ein und sind bedeutend langsamer, was heißt, daß uns insgesamt mehr Autos begegnen, die - meist ungebremst - an uns vorbeifahren. So knirscht es im Mund bereits nach kurzer Strecke und der Straßenstaub hat Rad und Fahrer sanft eingehüllt, als wir in Bådsbøl-Ballum auf dem Campingplatz ankommen.
Am Montagmorgen starten wir frisch geduscht und gut ausgeruht - der Campingplatz war toll - in Richtung Insel Røm. Der Deich versperrt uns zwar die Sicht auf die Nordsee aber neben einem schilfbewachsenen Entwässerungskanal weit weg von der Straße fährt es sich recht ruhig und zügig dahin. Nördlich vom Damm zur Insel geht es dann immer mal wieder in den Staub der Schotterstraßen, wobei hier heute deutlich weniger Autos fahren - die sind auf solchen Wegen wohl mehr am Wochenende unterwegs.
Wir passieren allerlei niedliche Dörfer und landen schließlich hinter Vester Vedsted am Deich. Dort haben wir einen schönen Ausblick auf den Mandø Ebbevej einen Weg, über den man bei Ebbe zur Insel Mandø gehen oder auch fahren kann. Das beabsichtigen offenbar einige Dänen zu tun, denn sie haben ihre Autos bereits in das vom stetig ablaufenden Wasser freigelegte Watt gestellt. Darüber schütteln wir nur die Köpfe, denn uns ist noch in schlimmer Erinnerung, wie unser Auto aussah, nachdem wir vor vielen Jahren mal eine wilde Wattfahrt auf Røm gemacht hatten: Es wurde ca. ein halbes Jahr später vom TUV stillgelegt, weil die Mehrzahl der abgerosteten und abgefallenen Teile (Kotflügel, etc.) verkehrsgefährdende Streben der tragenden Konstruktion freigelegt hatte... Na schön, das ist nicht mehr unser Problem.
Weiter geht es zur Kammerschleuse der Ribe Å, und obwohl im Radführer ein Besuch der Stadt Ribe - immerhin die älteste Stadt Dänemarks - wärmstens empfohlen wird, verkneifen wir uns diesen Abstecher. Ribe ist in der Tat sehenswert, aber wir waren wirklich schon oft genug dort. So fahren wir weiter zwischen dem Deich und verschiedenen Entwässerungsgräben oder kleineren Flüßchen entlang in Richtung Esbjerg. Tagesziel soll aber nur Tjæreborg sein, ein kleinerer Vorort von Esbjerg, denn dort wollen wir morgen frisch ausgeruht und mit etwas Zeit versehen, den Bahnhof aufsuchen und unsere Zugreservierung für die Rückfahrt abholen.
Also nutzen wir - in Ermangelung eines Campingplatzes in Tjæreborg - die mitgeführte Broschüre Overnatning i det fri, in der zahlreiche kostenlose oder kostengünstige Naturlagerplätze bzw. Campingmöglichkeiten aufgezählt sind und fahren zu einem darin verzeichneten Bauernhof. Die Besitzer sind gerade im Urlaub und es dauert eine ganze Weile, bis ein Nachbar kommt, der ab und an auf dem Hof nach dem Rechten schaut. Aber der spricht nur Dänisch - was ihm ja prinzipiell nicht zu verdenken ist - und tut das so schnell, daß wir rein gar nichts verstehen. Meine paar eingeübten Sätze, die ich für Dänisch hielt, und mit denen ich versuche, ihm zu erklären, was wir hier wollen, versteht er nun wieder nicht und so ergibt sich ein reges Durcheinander aus Worten und Gesten, das damit endet, daß wir etwa 30 Meter neben dem Misthaufen unsere Zelte aufschlagen und dafür 60 Kronen bezahlen. Nicht viel, wenn man bedenkt, daß ein regulärer Campingplatz etwa das Vierfache gekostet hätte, aber der Misthaufen verleidet uns am nächsten Morgen dann doch das Frühstück - in der Nacht hat nämlich der Wind gedreht.
Auch der Bäcker in Tjæreborg ist im Urlaub und wir müssen wirklich bis nach Esbjerg hineinfahren, um etwas zu Essen zu bekommen. Es ist noch recht früh am Vormittag und wir sind guter Dinge, trotz des Aufenthaltes am Bahnhof (siehe unser Bahnabenteuer), unser Tagesziel - einen Naturlagerplatz zwischen Henne Strand und Nymindegab - zu erreichen.
Und dann schlägt die Landschaft zu: Hinter Esbjerg geht es richtig bergauf und (irgendwie seltener) bergab und das wieder mal zum guten Teil auf Schotterstraßen. Zudem weht heute kein Wind und die Sonne brennt erbarmungslos auf uns herab. Obwohl es eine der landschaftlich schönsten Passagen dieser Reise ist, macht uns die Querung der Marbæk Plantage bis Myrture erheblich zu schaffen und da es so hügelig weitergeht, zeichnet es sich bereits in Oksbøl ab, daß wir unser Ziel nicht erreichen werden. Heute ist es insbesondere unsere Kleine, die schlapp macht.
Hinter Oksbøl fahren wir dann durch militärisches Übungsgebiet, was eigentlich nichts anderes heißt, als das es dort landschaftlich langweilig, weil von Panzerketten zerfahren, und schattenlos ist, bis wir Vejers Strand erreicht haben. Hier biegen wir rechts ab in die Dünen und merken, wie der Wind nun langsam aber stetig wieder zunimmt - natürlich von vorn. Daher beschließen wir, in Børsmose Strand für heute Schluß zu machen und die am Tagesziel fehlenden Kilometer an einem anderen Tag wieder aufzuholen.
Abends machen wir noch einen kleinen Spaziergang am Strand entlang und bemerken die vielen Bunker, die hier als Bestandteil des ehemaligen deutschen Westwalls in die Dünen hineinbetoniert worden sind. Natürlich sehe ich solche Bunker nicht zum erstenmal, aber heute empfinde ich diese Zeitzeugen als besonders bedrückend und in mir kommt ein geradezu natürliches Verständnis für diejenigen Dänen auf, die dem damaligen Regime aktiven und passiven Widerstand entgegengesetzt haben. Ein Gefühl, das mich auf dieser Reise übrigens nicht wieder verlassen will...
Gut ausgeruht geht es am nächsten Tag nach Henne Strand, wo wir vor einigen Jahren ein Ferienhaus gemietet und bereits damals einen kleinen Teil des nationalen Radweges Nr. 1 befahren hatten. Zum Beispiel die Strecke nach Nymindegab, entlang der stillgelegten Eisenbahnstrecke, die wir auch heute befahren. Und, kaum zu glauben, hier kommt uns doch wirklich ein Zug entgegen.
Von Nymindegab geht es weiter nach Bjerregård und Hvide Sande. Hier wird der Radweg richtig interessant, weil schwierig zu fahren. Er verläuft nämlich auf fein gesandeten, aber relativ festen Wegen immer quer durch die Dünen. Dabei gibt es eigentlich keine Strecke, die ohne Steigung verläuft. Es geht immer kurz und steil auf eine Düne hinauf, um dann ebenso kurz und steil wieder von ihr hinunter zu gehen. Das erfordert permanentes schnelles Schalten in allen sieben Gängen eines Kettenblattes, um nicht entweder am Dünenanstieg hängen zu bleiben oder den beim Abstieg möglichen Schwung zu verschenken - denn genau den braucht man ja für den nächsten Anstieg. Also vorn die Kette auf das mittlere Blatt gebracht und dann hinten 6, 5, 4, 3, 2, 1 in rascher Folge und bei manchen hartnäckigen Anstiegen auch vorn noch schnell mal gewechselt - oben auf der Düne angekommen vorn wieder auf die Mitte und hinten auf 6 oder 7 geschaltet. Dann kann das Spiel von vorn beginnen. Dabei ist aber gerade beim Abfahren von der Düne auf die oftmals engen Kurven zu achten, die zum Teil aus weichem Sand bestehen und damit die Gefahr beinhalten, mit den schweren Rädern einfach seitwärts wegzurutschen.
Der Wind kommt natürlich wieder mal von vorn und heute sind es unsere Damen, die mit dem Terrain nicht so recht klar kommen. Bei Abelines Gård, einem historischen Bauernhof, etwa 10 Kilometer vor Hvide Sande, ist dann erst einmal eine Kaffeepause angesagt und es wird einhellig beschlossen, heute nicht die von gestern überhängige Strecke gutzumachen. Wir werden in Hvide Sande auf dem der Stadt nahegelegenen Campingplatz bleiben.
Heute werden wir richtig naß. Es regnet bereits am Morgen und will überhaupt nicht aufhören. So geht die Dünenfahrt im Wasser unter, das hektische Ferienzentrum Søndervig ist bei Regen noch unerträglicher als sonst und die schönsten Waldfahrten sind im Regen überhaupt nicht mehr so schön. Hinzu kommt, daß die Strecke um den Vest Stadil Fjord herum ziemlich weit im Landesinneren und fast ausschließlich über einen Damm zwischen Wiesen und Feldern verläuft - landschaftlich bei diesem trüben Regen also eine echte Durststrecke von immerhin 16 Kilometern Länge.
In der Husby Klitplantage, die von den Wegen und der Anlage her bei gutem Wetter sicher eine reizvolle Strecke ist, sind wir bereits derart durchnäßt, daß wir nur noch frieren und möglichst schnell weiter wollen. Unsere Regenbekleidung ist nicht gerade die teuerste, hatte aber in den Vorjahren immer ordentliche Dienste geleistet. Nur nach mittlerweile 3 ½ Stunden Dauerregen gibt es für das Wasser von außen kein Halten mehr. Es geht bis auf die Haut. Dann sehen wir bei einem Kaufmannsladen in Bjerghuse, daß nur noch 17° C Lufttemperatur herrschen. Mit dem Windchill bei den heutigen 3 bis 4 Bft., wären das nur noch zwischen 14 und 12° C gefühlte Temperatur. Kein Wunder also, wenn wir frieren.
Wir radeln daher mit zusammengekniffenen Zähnen die letzte Strecke nach Torsminde und suchen dort den Campingplatz auf. Am liebsten wäre es uns jetzt, eine Campinghütte zu mieten und die nassen Sachen trocknen zu können, aber die Hütten sind alle belegt. Immerhin bietet man uns jämmerlich tropfenden Figuren ein großes Partyzelt von etwa 5 x 5 Metern Fläche an, in dem wir wiederum unsere Zelte aufschlagen dürfen und einige Sachen zum Trocknen aufhängen können. Natürlich gehen nicht beide Zelte dort hinein, aber wir können mit unserem Benzinkocher und dem dazugehörigen Heizaufsatz etwas heizen und nebst unseren Händen und Füßen eben auch ein paar Sachen trocknen.
Der Morgen ist so trüb, wie der gestrige Abend, nur daß jetzt noch mehr Wind weht und den Regen so richtig durch die Gegend peitscht. Unsere Lust weiterzufahren ist weit unter dem Nullpunkt angelangt und so frühstücken wir ausgiebig in unserem Partyzelt und warten erst einmal ab. Gegen 10 Uhr klärt sich der Himmel und der Regen läßt nach. Die Stimmung ist immer noch nicht besser. Satzfetzen, wie Ferienhaus mieten, nach Hause fahren, etc. machen die Runde und entfachen eine Diskussion über die noch verbleibende Urlaubszeit, die dann zunächst mit einem Kompromiß beendet wird: Wenn das Wetter so schlecht bleibt, brechen wir ab - und außerdem schauen wir mal, ob sich für die letzte Woche ein Ferienhaus findet...
Die acht Kilometer auf der Straße von Torsminde entlang des Bøvling Fjord sind öde und wir sind froh, bei Mårupgård endlich nach links abbiegen zu können, auch wenn das wieder eine Schotterstraße ist. Kaum sind wir abgebogen, ist schon wieder ein Reifen platt. Nun, mit solchen Kleinigkeiten haben wir ja schon Übung und so ist rasch der Schlauch, bei dem das Ventil aus der Vulkanisierung ausgebrochen ist, gegen den gewechselt, den ich auf Amrum nebst - ebenfalls noch nicht gewechseltem - Felgenband erstanden hatte (das Textilband hält noch immer den Schlauch von den Speichenköpfen fern und ich habe wieder ein running system).
Weiter geht es über Fjaltring nach Trans. Dort steht direkt an der Steilküste eine Kirche, auf deren Friedhof die Gräber mit weißem Stakkettenzaun eingezäunt sind. Will man hier ganz sicher gehen oder was ist das für ein merkwürdiger Brauch? Wir finden es nicht heraus, obwohl wir es in dieser Gegend noch häufiger so antreffen.
Absolut sehenswert ist hier die Steilküste. Es sind wohl einige hundert Stufen, die über Holzleitern hinabzusteigen sind, an den breiten Strand, zu der heute richtig bewegten See und den aus großen, groben Schotterblöcken zusammengeschütteten Buhnen. Töchterchen macht sich auf den langen Weg hinab und ist von uns Obengebliebenen nur noch als kleiner, heftig winkender Punkt am Strand auszumachen.
Dann geht es weiter zum Bovbjerg Fyr, einem ziemlich einsam stehenden Leuchtturm, an dessen Front wieder einmal zahlreiche Bunker- und Geschützanlagen auszumachen sind. Hier muß es früher eine Feldbahn gegeben haben, die Munition aus dem nahegelegenen Ort Ferring hertransportiert hat. Der 60 Jahre alte Beton und die verblaßten Inschriften sprechen noch immer eine deutliche Sprache.
Hinter Ferring wird es wieder hügelig, als wir den Ferring Sø umfahren. Wir treffen auf den kleinen Ort Strande und erinnern uns, vor gut 20 Jahren hier einmal im Winter mit Freunden ein Ferienhaus gemietet zu haben. Es ist erstaunlich, was man nach so langer Zeit doch noch wiedererkennt. Ach ja, da ist er wieder, der fragwürdige Begriff, der uns bereits heute morgen beschäftigt hatte: Ferienhaus. Soll ich wirklich bei den Vermietungsfirmen anfragen, ob noch Häuser frei sind? Die Fairneß gegenüber den Kindern gebietet es und so klappere ich die verschiedenen Hausvermieter ab: Ohne Erfolg bezüglich einer Anmietung - es sind alle Häuser belegt - und mit Erfolg bezüglich des nunmehr erst einmal gesicherten Weiterfahrens.
Das jedoch endet für heute auf dem Campingplatz Westerhav Camping in der Nähe von Harboør, ca. 11 Kilometer vor Thyborøn - und einkaufen müssen wir auch noch, denn das Benzin zum Kochen ist uns beim Heizen gestern abend fast ausgegangen und der Campingplatz bietet so gut, wie nichts in dem kleinen Laden. Also fahren unser Großer und ich nach Harboør. Benzin bekommen wir rasch, indem wir einen Autofahrer an der Tankstelle bitten, uns einen Liter Super gegen Bezahlung abzugeben, nur, einzukaufen ist in dieser Schlafstadt gar nicht so einfach.
Natürlich gibt es den für Dänemark obligatorischen Brugsen-Laden, aber dessen Hauptbestandteil sind Weine, Bier, Knabbersachen und Reinigungsmittel. Die übrigen, von uns eigentlich gesuchten Dinge des täglichen Bedarfs, hat er nur in relativ geringer Anzahl und ohne größere Auswahl. Wir gehen wieder und suchen einen Alternativladen. Ein paar Straßen weiter finden wir Spar, dessen Angebot dem des Brugsen sehr ähnelt, nur daß die Auswahl der von uns bereits bei Brugsen nicht gesuchten Waren hier noch dürftiger ausgefallen ist. Diesen Laden verlassen wir ebenfalls, ohne etwas zu kaufen und durchfahren nun fast den ganzen Ort ohne eine weitere Einkaufsmöglichkeit zu finden.
Nach etwa einer halben Stunde sind wir völlig desillusioniert, was das tägliche Leben in Dänemarks Schlafstädten angeht und kehren betreten zum Brugsen zurück. Die schmucken Häuschen und gepflegten Vorgärten aus den ländlichen Gemeinden haben wir hier überhaupt nicht gefunden. Es ist alles steril, baukastenförmig rechteckig trostlos und wenn es sich um ältere Anwesen handelt, sehen die so aus, als ob sie von der sprichwörtlichen dänischen Gemütlichkeit nichts abbekommen hätten. Wir raffen im Laden schnell ein paar Sachen zusammen und eilen wieder zum Campingplatz. Dieser Abstecher hat garantiert nicht dazu beigetragen, die Motivation zur Weiterreise zu erhöhen, auch wenn niemand wieder zu nörgeln anfängt.
Am nächsten Morgen fahren wir über die Harbøre Tange und strampeln acht Kilometer schnurgeradeaus, den Wind leicht von der Seite, leicht von hinten habend. Das ist fahrerisch recht angenehm, könnte landschaftlich aber etwas abwechslungsreicher sein. Dann geht es durch Thyborøn, für das wir uns keine Zeit zum Anschauen nehmen, denn wir wollen die Mittagsfähre über den Thyborøn Kanal bekommen - was uns auch gelingt. Der Kapitän hat uns gesehen und wartet, bis wir angekommen sind. Am anderen Ufer stehen uns dann noch einmal acht bis neun Kilometer fast schnurgerader Straße bevor, denn wir müssen die Krik Vig durchfahren, um nach Agger zu gelangen: Öde, öde, öde!
Belohnt werden wir hinter Agger, als wir über Krik nach Roddenbjerg fahren und dann weiter zwischen Flade Sø und Ørum Sø in Richtung Lodbjerg Kirke radeln. Diese Landschaft tut der Seele gut! Leichte Hügel, die blauen Seen, eingerahmt von wogenden Feldern und diese wiederum von kleinen, niedrigen Wäldern gesäumt. In der Ferne sieht man die Laterne von Lodbjerg Fyr über den grünen Wipfeln herauslugen und die Sonne meint es ebenso gut mit uns, wie der Wind, der ganz leicht von der Seite kommt und die Hitze erträglich macht. So geht es heute ziemlich weit von der Küstenlinie entfernt immer am Rande der Klitplantagen entlang. Zunächst nach Svankær, einem stillen sonnigen Flecken, dann weiter durch die heute sonnigen Küstenwälder nach Stenbjerg.
Hier macht der offizielle Radweg einen scharfen Knick nach links, um dann nach rechts ebenso scharf abbiegend, wieder fast dorthin zu führen, wo wir jetzt stehen und uns entscheiden müssen. Folgen wir dieser ulkigen Wegführung oder kürzen wir einfach ab, indem wir geradeaus fahren? Bequem, wie wir nun mal sind, nehmen wir den kürzeren Weg und fahren ziemlich direkt nach Nørre Vorupør.
Beim Abbiegen in Sønder Vorupør bemerke ich, daß meine Lowrider vorn sehr bedenklich schaukeln und finde auch gleich die Ursache: Eine Befestigungsschraube des Gepäckträgers an der Gabel fehlt. Nun, nach etwa einem Kilometer finden wir am Ortseingang von Nørre Vorupør einen Fahrradverleih. Nichts, wie hin und gefragt, ob der vielleicht so eine Schraube hat.
Oh, worauf habe ich mich da nur eingelassen? Der Händler deutet auf einen Tisch vor seinem Laden, der mit einem Haufen Fahrradschrott bedeckt ist, und sagt, daß ich mal suchen soll, ob das passende Teil für mich dabei ist. Als sich nach einigem Durchwühlen des Stapels nichts Passendes gefunden hat, geht er mit mir in seinen Laden und ich erkenne, daß dieser Tisch symptomatisch für das ganze Geschäft ist. Drinnen sieht es nämlich nicht anders aus und ich bezweifle sehr, daß der Ladenbesitzer zwischen all den alten Fernsehern und Radiogeräten, den Überresten einer offensichtlich geschlossenen Videothek, einer Unzahl von Fahrradeinzelteilen und etlichen wild herumliegenden Utensilien einer angedeuteten Buchführung in der Lage sein würde, eine 5mm-Innensechskantschraube für mich zu finden. Findet er auch nicht, aber er kommt mit einer Alternative: Schraube an sich ist schon mal gut, 5mm ist auch ok, aber das Ding ist viel zu lang. Also noch einmal abtauchen in das Chaos. Nach etwa fünf Minuten Abwesenheit drückt er mir schweigend eine nur unwesentlich kürzere Schraube in die Hand und ich versuche mein Glück. Sie paßt und ich muß nicht mal etwas dafür bezahlen - wahrscheinlich hätte er auch den Quittungsblock gar nicht gefunden. Das ist echter Service...!
Die Nacht verbringen wir in Nørre Vorupør, wo zuvor noch ein Versuch gestartet werden muß, nach einem Ferienhaus zu fragen. Es gibt tatsächlich noch eines - wenn auch unverschämt teuer und klein. Und wieder beginnt die Diskussion. Und wieder gibt es Tränen. Aber wir sind nicht auf eine Woche Nichtstun eingerichtet. Wir haben kein Buch dabei, keine Brettspiele oder sonst irgend etwas, womit wir die Zeit hätten verbringen können. Größere Entfernungen könnten wir nur mit dem Rad bewältigen, aber das gerade wollen die Kinder ja nicht mehr. Wir entscheiden uns, zunächst einmal die Nacht auf dem Campingplatz abzuwarten und morgen weiterzusehen.
Es wieder mal hundekalt und die Wolken rauschen dunkel und niedrig über unsere Köpfe hinweg. Kein Wort mehr über das Ferienhaus. Die Zelte werden gepackt und wir radeln los. Zunächst kommt der Wind von hinten und die Fahrt geht recht gut voran. Dann müssen wir nach Norden abbiegen und das heißt: Gegenan! Als in den Klitplantagen die Wegstrecke wieder extrem sandig wird und die schweren Räder weit in die Wege einsinken, sinkt auch die Stimmung wieder bedenklich. Die Kinder murren nicht, aber sie sagen auch nichts mehr...
Hinter Klitmøller baut uns die herrliche Landschaft dann wieder auf! Der Vandet Sø und erst recht der Nors Sø liegen malerisch zwischen Feldern und Wäldern und es ist uns nur allzu verständlich, daß es hier eine ganze Anzahl freier Lagerplätze gibt, auf denen man sein Zelt aufschlagen kann. Nors selbst ist eine ziemlich verschlafene Kleinstadt, die nichts Besonderes bietet - zumal es Sonntagnachmittag ist. Und auch die sich anschließende Fahrt durch die Tved Klitplantage zeigt außer dem beständigen Einsinken der Räder in den weichen Sand - nein, nicht so schlimm, wie in der Lüneburger Heide, aber trotzdem kräftezehrend - keine touristischen Höhepunkte. So kommen wir im Örtchen Ræhr an, dem letzten Ort vor Hanstholm. Aber der hat es in sich! Unten fahren wir in den Ort ein und oben geht es weiter, wobei zwischen oben und unten nur etwa 200 Meter liegen und auf diese Distanz aber bestimmt 30 Meter Höhenunterschied zu bewältigen sind. Da braucht es alle Kraft, um hochzuschieben. Dennoch, auch das schaffen wir und sind gut fünf Kilometer weiter auf dem Campingplatz von Hanstholm.
Dieser Platz ist großartig und gepflegt, wenngleich auch der teuerste unserer ganzen Fahrt. Es gibt einen Laden, ein kostenloses Schwimmbad, kostenlose Küchenbenutzung und wirklich super saubere, großzügige Sanitäreinrichtungen. Zudem bekommen wir einen Platz mit unverbaubarem Seeblick und haben nur etwa 50 Meter bis zur Steilküste zu laufen. Alles in allem ein toller Komfort!
Abends machen wir noch einen Abstecher nach Hanstholm. Der Überblick, den man vom Berg oberhalb des Hafens hat, ist gewaltig. Hier sollte jeder, der in die Stadt kommt, ein wenig rasten und die Fernsicht genießen! Der offizielle Radweg führt leider nicht hin, der biegt vorher ab.
Also, wenn man (gemäß Bikeline) aus dem Molevej auf den Chr. Hansens Vej nach rechts abbiegen soll, fährt man einfach nach links bis zum Kystvejen und quert diesen etwas schräg nach links, um dann sofort wieder nach rechts in eine kleine Nebenstraße zu fahren. Das ist eine Sackgasse, an deren Ende man sich auf einem hervorragenden Aussichtsplatz befindet. Ein Restaurant ist dort übrigens auch. Der ganze Umweg beträgt vielleicht 1 ½ Kilometer - wenn überhaupt - aber es lohnt sich!
In der Nacht regnet es und zum Frühstück ist es wieder hundekalt, windig und naß. Die Stimmung ist gedämpft. So kommt es, daß wir uns alle einmal tief in die Augen sehen und beschließen: Heute abend sind wir wieder in Hamburg. Das war's jetzt endgültig.
Der Rest ist schnell erzählt: Es wird eine Zugverbindung herausgesucht, die von Thistedt nach Hamburg oder zumindest nach Niebüll führt. Die Zelte werden verpackt und dann geht es los, die knapp 20 Kilometer nach Thistedt zurückzulegen. Dabei macht uns der Wind noch einmal reichlich zu schaffen, denn heute kommt er mit guten 7 bis 8 Bft. konstant von der Seite und weht uns zum Teil kräftig vom Fahrbahnrand in die Mitte der Straße. Das macht nicht nur uns manchmal Angst, sondern auch den uns überholenden PKW-Fahrern, die heute erheblichen Abstand von uns schwankender Masse halten - nicht unangenehm...
Wir sind insgesamt 764 Kilometer gefahren und hatten diesmal mehr Pannen als sonst, wenngleich glücklicherweise keine ernsthaften Unfälle. Daß es nicht so viel Spaß gemacht hat, wie in den letzten Jahren, lag sicher am Wetter mit der teilweise argen Kälte und am ewigen Wind. Aber nicht zuletzt lag es wohl auch an der Landschaft, die für Autofahrer - und da haben wir fast jahrzehntelange Dänemarkerfahrung - durchaus abwechslungsreich, für Radler aber streckenweise absolut öde ist. Dann ist es sicher ein Faktor, daß das Fahren mit urlaubsschweren Rädern auf den Schotter- und Sandstrecken recht beschwerlich ist und wir überzeugt sind, daß hier der Bikeline-Rat, man solle für die Strecke die Benutzung von Mountainbikes in Erwägung ziehen, auch nicht die ultima ratio ist. Fahren ohne Gepäck wäre da schon angesagter.
Hinzu kommt, daß wir uns dieses Jahr mit den dänischen Eß- und Einkaufsgewohnheiten so gar nicht anfreunden konnten. Mit dem Auto ist man schnell in den großen Einkaufszentren und findet, was man sucht. Mit dem Rad kommt man an diesen Zentren erstens gar nicht vorbei und zweitens hat man nicht die Kapazität, um viele Dinge mitzunehmen. Die Läden auf den Campingplätzen sind jedoch meist in bedauerlichem Zustand - was die Auswahl der Waren angeht - und in den Dörfern sieht es nicht besser aus. Will man also auf freien Plätzen übernachten, die zum Teil landschaftlich äußerst reizvoll gelegen und dementsprechend verlockend sind, braucht man reichlich Platz, um Verpflegung über längere Strecken mitzunehmen und muß auch mal einen längeren Umweg zu einem der größeren Einkaufstempel einplanen. Nimmt man von dieser Art der Übernachtung abstand und benutzt offizielle Campingplätze, mangelt es zwar nicht am Komfort, aber die Angelegenheit wird teuer. Unter 240 Kronen pro Nacht ist für eine Familie nichts zu bekommen und ein dänisches Campingcarnet für 80 Kronen ist zwingend erforderlich.
Und schließlich sollte sich jeder, der plant, mit der Eisenbahn zurückzufahren, überlegen, ob er damit nicht lieber hinfährt und per Velo zurückkommt, als daß er den ganzen Urlaub über damit beschäftigt ist, die Eigentümlichkeiten der DSB nachzuvollziehen.