In dieser Nacht gibt es ein Gewitter, das uns noch lange in Erinnerung bleiben wird! Die Blitze sind so hell, daß sie selbst bei geschlossenen Augen noch blenden und der Donner läßt den Boden unter den Zelten leicht beben. So etwas haben wir kaum einmal erlebt und allen ist doch etwas mulmig zu Mute. Morgens ist aller Spuk vorbei, nur das schöne Wetter ist zusammengebrochen. Starker Südwestwind, tiefhängende Regenwolken und Nieselregen begleiten uns durch das Land nach Emden. Und hier, kurz vor dem Ende unserer Reise entdecken wir endlich, daß dies wirklich Ostfriesland ist:
Wir kommen an eine Wegkreuzung, die einem T gleicht. Unser Weg, also der, von dem wir kommen, endet etwa 20 Meter hinter diesem Abzweig in einem Acker während sich rechts unseres Weges ein Kornfeld befindet. Der weitere Weg zweigt also zwangsläufig links ab. An diesem, so bemerkenswerten Ort entdecken wir nun einen Wegweiser für Radler, der in der Innenkurve des T's aufgestellt ist und der zwei Schilder mit Richtungspfeilen besitzt: Ein Pfeil zeigt in die Richtung, aus der wir kommen und ist nur genau von dort oder vom gegenüberliegenden Feld zu sehen, der andere zeigt in die Richtung “nach links”, ist aber auch nur zu sehen, wenn man von dort oder aus der 20 Meter langen Sackgasse kommt. Wir amüsieren uns...
Gegen Mittag wird es etwas erträglicher mit dem Nieselregen und der Wind dreht leicht nach Nordwest, so daß wir auf der Fahrt nach Leer weitgehend Seiten- bis Rückenwind haben. Erwähnenswert auf diesem Streckenabschnitt sind noch die Stadt Emden, mit einem unsererseits noch nie gesehenen Wegesystem für Radfahrer (mit separaten Abbiegeampeln an komplizierten Kreuzungen) und das reizende Örtchen Ditzum, am Ende der Fährüberfahrt von Petkum über die Ems.
Leider fehlt uns heute die Zeit für längere Aufenthalte, denn wir müssen noch eine geöffnete Sparkasse finden und überhaupt macht sich langsam das nahe Ende der Fahrt bemerkbar: Keiner von uns will aufhören, aber keiner hat auch mehr recht Lust weiterzufahren – das ist schon merkwürdig. In Leer selbst gehen wir dann nicht auf den Campingplatz, sondern in die Jugendherberge, denn die hatte noch ein Zimmer frei - ganz spontan waren wir gestern abend auf die Idee gekommen dort einfach mal nachzufragen.
Die Jugendherberge residiert in einem sehr alten, wunderschönen hofartigen Gebäudetrakt, der nach drei Seiten geschlossen ist und völlig ruhig aber ganz zentral fast mitten in der Stadt liegt. Früher war es mal das Armenhaus, später auch ein Altersheim gewesen und das heutige Dasein als Jugendherberge ist offensichtlich auch nicht ganz unproblematisch, denn die Ausstatung der Zimmer und die Technik (insbesondere die Dusche) sind doch arg mitgenommen - warmes Wasser gibt’s eigentlich nicht, nur sehr sehr lauwarmes... Egal, die Leute dort sind - wie eigentlich in allen Herbergen, die wir aufsuchten - sehr freundlich und hilfsbereit. Und das wiegt letztendlich mehr!
Sonnabend morgen um 4.45 Uhr stehen wir auf und schleichen uns etwa eine Stunde später ohne Frühstück aus der noch schlafenden Herberge, damit wir um 6.35 Uhr einen Zug zurück nach Hause bekommen. Durch den Harz sind wir dann sogar mit dem “Innovations-Zug” der Bahn gefahren - allerdings fährt der nur in eine Richtung so richtig innovativ. Nach einem Fahrtrichtungswechsel im Kopfbahnhof von Bad Harzburg bleibt er dauernd stehen und schleicht eigentlich nur noch durch die Lande. Irgendwann nach dem zehnten oder zwanzigsten Halt auf freier Strecke und bewundernswerten Dauerläufen von Schaltkasten zu Schaltkasten (mal im Zug, mal auch außerhalb) schfft es der Zugführer dann doch, die Innovation abzuschalten und (manuell?) einigermaßen zügig weiter zu fahren. Gegen 18.30 Uhr, nach mehrmaligem Umsteigen, Hunger und Durst leidend, und - wieder mal - verschiedentlichen "Viehtransporten" wegen total überfüllter Züge, sind wir wieder daheim. (Aber mal ehrlich: was will man für 64,- DM Fahrpreis incl. Fahrradkarten für eine Fahrt mit vier Personen und Gepäck quer durch diese, unsere Republik schon erwarten).
Gut 297 Kilometer sind wir auf dieser Tour, meistens an der Nordsee entlang und ein wenig auch durch Ostfriesland gefahren. Rund 850 Kilometer haben wir auf unseren Rädern in 16 Fahrtagen für die gesamte Tour von kurz vor Magdeburg bis nach Leer zurückgelegt. Das ergibt zwar nur einen Schnitt von etwa 53 Kilometern pro Tag, aber die haben wir immerhin ohne vorherige Übung und mit allerlei gewichtigen Convenience-Produkten der Outdoor-Industrie ausgestattet geschafft. Es gab keine Unfälle und keine wesentlichen Havarien an den Rädern. Allen hat die Tour viel Spaß gemacht und der Alltag wird es verdammt schwer haben, sich unserer wieder zu bemächtigen!