Nach einer so guten Nacht, körperlich und mental gestärkt, begeben wir uns auf den letzten Teil der Reise. Jever hat man uns anempfohlen und Esens. Das trifft sich gut, denn irgendwie haben wir das ewige Fahren hinter dem Deich satt. Wir wollen mal etwas vom Landesinneren sehen - schließlich war keiner von uns jemals zuvor in Ostfriesland gewesen. So fahren wir über Mariensiel, wo wir das historische Siel anschauen, zum Ems-Jade-Kanal und sind begeistert von dem beschaulichen Wasserweg und seinem begleitenden Radweg. Leider führt dieser Kanal nicht nach Jever und so biegen wir bei Dykhausen auf eine, gemäß unserer Radkarte vom ADFC, "Nebenroute auf mäßig befahrener Strecke".
Viel Verkehr ist hier wirklich nicht und so geht die Fahrt - wenn auch jetzt mit leichtem Gegenwind - nach Jever über Schortens recht gut voran. Interessant, allerdings auch tierisch laut sind die andauernd über uns hinwegfliegenden Düsenjäger der Luftwaffe, die bei Upjever ihren Fliegerhorst haben und dort landen wollen. Davon darf man sich auf dieser Straße ohne Radweg nicht irritieren lassen.
Jever zeigt sich uns in voller Mittagssonne, aber total überlaufen. Horden von Touristen quälen sich durch die engen Straßen der Fußgängerzone und überfüllen den Devotionalienshop der Jever-Brauerei, um die sich hier überhaupt alles zu drehen scheint. Wir hingegen suchen die historische Altstadt auf und fahren etwa dreimal um den Kirchturm herum, bis wir von den acht oder neun auf den Platz einmündenden Straßen diejenige Einbahnstraße gefunden haben, über die man aus diesem Kreis auch wieder herauskommt.
Jever ist uns einfach zu voll! Deshalb geht es weiter nach Wittmund und in Richtung Esens. Hier bewahrheitet sich allerdings die in der Kartenlegende in Klammern gesetzte Unterschrift der Routenbezeichnung "auch: Radweg an stark befahrener Straße". So sind wir völlig entnervt vom ewigen Krach des Verkehrs, als wir in Esens endlich ankommen. An so einem Streckenabschnitt wünscht man sich Benzinpreise, die noch mindestens 50% über denen liegen, von denen radikale Umweltschützer insgeheim träumen... Wir beschließen reumütig, in Zukunft wieder der Bikeline-Route zu folgen.
Das tun wir bereits ab Esens und kommen am Abend in Dornumer Siel an. Der Campingplatz hinterläßt bei uns den Eindruck, es handele sich in Wirklichkeit um einen Containerumschlagplatz, so dicht und gleichförmig stehen Wohnwagen und Wohnmobile an- und nebeneinander. Wer glaubt, so “die schönsten Wochen des Jahres” verbringen zu müssen, sollte sich wirklich ärztlich untersuchen lassen. Mit der dem Camping nachgesagten Freiheit und Naturverbundenheit hat das absolut gar nichts mehr gemeinsam!
So schrecklich der Platz in seiner Uniformität auch ist, so atemberaubend sind die Sanitäranlagen: Ein wohltemperierter, super-moderner Wasch-, Dusch- und Pinkeldom eröffnet sich nach dem Betreten der utopisch auf Stelzen (gegen die Winterstürme und die rauhe Nordsee) gebauten Gebäude. Natürlich sind wir froh, hier die eine Nacht bleiben zu können (was übrigens 10,- DM Aufpreis kostet, der erst nach drei Übernachtungen entfällt – was wir nicht ausgehalten hätten), aber richtig glücklich sind wir erst am nächsten Morgen, als wir wieder abfahren dürfen.
Auf Anraten von Mitcampern fahren wir heute zunächst vor dem Deich (Gatter auf, Gatter zu...) und kommen so zwar etwas langsamer, dafür aber auf optisch reizvoller Strecke nach Norddeich. Durch den guten Rückenwind fahren wir bis dahin einen Schnitt von 18,5 km/h heraus. Das ist (und bleibt) unser Rekord! Dann geht es weiter durch das reizvolle Norden nach Neuwesteel und durch den hübschen Leybuchtpolder nach Greetsiel.
Dieses niedliche Städtchen darf wirklich niemand auslassen, der hier in der Gegend ist! In Greetsiel zeigen sich schon ganz deutlich holländische Einflüsse auf die Häuser, wie auch auf die Namen der Familien und es herrscht ein Flair, das uns alle ganz spontan überlegen läßt, ob wir hier nicht einfach unsere Tagesroute beenden.
Unser Problem ist, daß wir in Emden (dem avisierten Endpunkt unserer Reise und damit dem geplanten Einstiegsbahnhof in die Bahn) keinen Platz in der Jugendherberge oder in Privatquartieren bekommen haben und es einen Zeltplatz nur in etwa acht Kilometern Entfernung gibt. Weil wir aber bereits morgens um 6.00 Uhr mit dem Zug abreisen wollen, hatten wir daraufhin entschieden, bis Leer weiterzufahren. Dort gibt es einen Campingplatz direkt gegenüber der Stadt und der frühe Weg zum Bahnhof würde nicht so weit sein. Diese Entscheidung läßt unsere Tour aber gut 23 Kilometer länger werden und deshalb müssen wir heute noch "etwas Strecke machen" - um morgen auch wirklich in Leer anzukommen. Schade finden das alle...
Es geht also weiter. Auf dem Deich fahren wir aus Greetsiel heraus und sehen nach wenigen Kilometern: Den knubbeligen, rot-gelben Leuchtturm von Pilsum! Wir haben wirklich unser Reiseziel erreicht! Nun, für mehr als ein paar Fotos ist er leider kaum mehr zu gebrauchen und die werden lange nicht so schön, wie diejenigen, die uns zu dieser Fahrt ursprünglich veranlaßt hatten. Offensichtlich ist der Turm mittlerweile zu einer Art Kultstätte geworden (selbst den Bikeline-Führer ziert sein Abbild), was sich in den zahlreichen Besuchern und in den Grafittischmierereien am Fuße des Turmes wiederspiegelt. Wir fahren noch bis zum Campingplatz bei Upleward und bleiben dort für die letzte Nacht.