Die letzten zwei Tage erinnerte uns das Wetter wieder daran, daß in diesen geographischen Breiten ein anderer Mix herrscht, als auf Mallorca: Es regnet nicht gerade, aber es ist kalt, windig und irgendwie immer etwas feucht in der Luft. Da lädt Lennartsfors trotz der wieder mal imposanten Schleusen - hier sind es gleich mehrere hintereinander und wir haben ja schon etwas Übung im Schleusen - nicht gerade zum Verweilen ein.
Jetzt befinden wir uns auf dem Lelången, quasi dem Herzstück des Dalslands Kanal. Eigentlich war der Kanal einmal zum Holzflößen angelegt worden. Damit das Rohprodukt Holz auf einfachem Wege zu den Papierfabriken Westschwedens gelangen sollte, verband man die natürlich beieinander, aber auf unterschiedlichen Niveaus liegenden Seen mit Schleusen. Das Holz - d.h. die Baumstämme aus den nördlichen Wäldern wurden dann zu großen Flößen zusammengebunden und mit kleinen Schiffen solange über den Kanal bugsiert, bis sie zu den Papierfabriken am südlichen Teil des Lelången und an den davon noch südlicher liegenden Seen gelangt waren. Aber wenn man heute in den Informationen über den Dalslands Kanal nachliest, hat sich der Bau offensichtlich nicht rentiert. Der Kanal wird oft als Fehlplanung bezeichnet.
Uns kann das eigentlich nur recht sein, denn die Konfrontation mit einem riesigen schwimmenden Feld von Baumstämmen wäre sicher nicht ungefährlich für unsere empfindlichen Boote gewesen. Aber abgesehen davon, daß ja hier in wenigen Tagen der Winter beginnt und alle technischen Einrichtungen damit ohnehin in einen Winterschlaf verfallen, haben wir auf unserer bisherigen Fahrt weder ein Baumstamm-Floß, noch ein dazugehöriges Boot gesehen.
Aber die Nähe der Papierfabriken kündigt sich langsam und durchaus merkbar an - obwohl wir noch weit von dem eigentlichen Standort der Fabriken entfernt sind: Die Wasserqualität im Lelången ist deutlich schlechter, als in den anderen Seen. Das Wasser ist trübe und zeitweise schwimmen weißliche Schaumfetzen um uns herum. Da macht es keinen Spaß mehr, einfach Wasser aus dem See zu schöpfen und Saftkonzentrat hineinzurühren. Wir sind uns zwar einigermaßen sicher, daß sich nun wohl kein Fischlein mehr in das Glas verirren würde, aber wie die Schaumfetzen schmecken wollen wir denn doch nicht probieren...
Auch hat sich der Ufercharakter des Sees gegenüber den anderen, bislang befahrenen Seen verändert. Hier wohnen Menschen. Es gibt deutlich sichtbar Straßen, Dörfer, Kirchen mit Friedhöfen zum Teil direkt am Seeufer gelegen, kurz, wir befinden uns jetzt im zivilisierteren Teil des Dalslands Kanal.
Zwar wird die Natur etwa vier bis fünf Seemeilen hinter Lennartsfors wieder dominanter als die Zeichen der Zivilisation, aber so recht will uns der Lelången nicht gefallen. Im Vergleich mit Stora Le und Töcken kann er einfach nicht mithalten. Deshalb überlegen wir, etwa in der Mitte des Sees bei Torrskog ernsthaft, ob wir nicht über die gegenüber von Torrskog gelegene Seenverbindung nach Gustavsfors und in den Västra Silen wechseln sollten, um dann über Kroksfors für den Rest des Urlaubs in den Östra Silen zu fahren. Der Östra Silen bietet sich nämlich auf der Karte als ein wild zerklüftet aussehendes Seengebiet an, daß deutlich weniger Zivilisationseinfluß zu versprechen scheint, als der noch vor uns liegende Abschnitt des Dalslands Kanal. Nur zwei Probleme ergeben sich: Erstens haben wir kaum noch Verpflegung an Bord und die Abgeschiedenheit der Natur bringt es ja mit sich, daß wir dort auch keine Geschäfte finden würden (Gustavsfors oder Kroksfors erscheinen uns ebenso wenig Kandidaten für Supermärkte zu sein, wie die anderen bisher besuchten Orte) und wir finden keinen Bahnhof in Seenähe, der uns eine unproblematische Rückfahrt mit den Booten ermöglichen würde - denn es ist bereits der 9. August und damit haben wir fast drei Wochen unserer Urlaubszeit hinter uns. Also beschließen wir, am Lelången zu bleiben und in Bengtsfors auf dem Campingplatz von Grean mindestens einen Tag zu bleiben, um einzukaufen.
Aus dem einen, geplanten Tag - an dem wir sogar deutsches Schwarzbrot in einem Bäckerladen finden - werden dann doch drei, da das Wetter wieder mal nicht so toll ist und wir deshalb mit der Eisenbahn nach Årjäng, an der Nordspitze des Västra Silen fahren. Wenn schon nicht mit dem eigenen Boot, dann wenigstens per Bahn einmal das Gebiet anschauen. Allerdings gibt es bis auf die Überfahrt über die Verbindung zwischen Lelången und Västra Silen bei Gustavsfors, eine schmale Schlucht, die wirklich sehens- und sicher auch befahrenswert ist, eigentlich nur Wald und als traurige Attraktion eine von unserer Bahn angefahrene Elchkuh. Der Lokführer telefoniert und läßt das zuckende Tier neben dem Bahndamm liegen...
Am 13. August geht es wieder weiter. Die großen Seen sind nun zu Ende. Wir fahren durch kleine natürliche Verbindungen zwischen weiteren Seen und müssen jetzt fast regelmäßig schleusen. So kommen wir zunächst einmal nach Billingsfors und fahren von dort in den Laxsjön ein, der sich zunächst bauchig nach Osten und dann noch einmal etwas länglicher nach Nord-Nordost erstreckt. Wir bleiben aber im Bereich des westlichen Ufers, denn wir wollen noch bevor unsere Urlaubszeit abläuft das Wasserstraßenkreuz bei Håverud zu sehen bekommen. Außerdem hat Helmut heute Geburtstag und Captain Morgan kommt zum Gratulieren.
In Dals Långed müssen wir wieder einmal durch verschiedene Schleusen - eigentlich ja nichts Ungewöhnliches mehr für uns, aber diese hier sind sehr felsig und der Wasserstand am Anleger vor der Schleuse ist äußerst knapp bemessen für unsere weiche Bootshaut. Mehrfach versuchen wir vorsichtig anzulanden, um nicht von den spitzen Steinen aufgeschlitzt zu werden, bis wir einen Platz gefunden haben, an dem wir auch aussteigen und bezahlen können. Hier rechnet man offensichtlich nur mit den stabilen Paddelbooten aus GfK und nicht mit Wanderzweiern, die lediglich eine PVC-Haut besitzen.
Die Seeverbindungen in dieser Gegend sind fast alle bewohnt und wir fahren bereits seit einigen Tagen durch eine richtige Kulturlandschaft. Da erstaunt uns der Råvarpen, ein fast rund erscheinender See in den wir einige Seemeilen nach den Schleusen hineinfahren, mit seiner Urwüchsigkeit. Hier ist wieder die unberührte Natur unsere Umgebung.
Vom Råvarpen geht es weiter in den schlauchartigen Ålången, in dessen Schleusen wir erstmals mit der Berufsschiffahrt Bekanntschaft machen: Lastkähne schleusen mit oder vor uns und auch ein Ausflugsdampfer begegnet uns. Es ist ein ulkiges Gefährt, daß höher als breit ist und damit paßgenau in die Schleusen fahren kann. Es bedeutet aber auch, daß wenn dieses Schiff in der Schleuse ist, dort niemand sonst mehr Platz findet. Wir warten also geduldig, bis der Ausflugsdampfer durchgeschleust ist und ein Lastkahn entgegenkommt, um die Schleuse wieder auf unser Niveau zu bringen. Für zwei Paddelboote allein schleust man hier im Süden des Dalslands Kanal nur ungern.
Kurz vor Ende des Ålången biegen wir nach backbord (also nach links, bzw. in östliche Richtung) ab und fahren über die Attraktion des Dalslands Kanal: Das Wasserstraßenkreuz bei Håverud. Hier quert der Kanal, der wegen des felsigen Untergrundes nicht im natürlichen Wasserlauf geführt wird, eben diesen und wird selbst wiederum von der Eisenbahn gequert. Damit fahren die Schiffe über eine Brücke und anschließend unter einer anderen hindurch - was aus einiger Entfernung so aussieht, als ob beide Brücken direkt übereinander angeordnet wären. Dieser Eindruck wird noch bestärkt, da die Eisenbahnquerung eine Klappbrücke ist, die - wenn kein Zug kommt - immer aufgeklappt ist, damit die Schiffe des Kanals dort nicht von unten anstoßen.
Nun sind wir inmitten der Papierfabriken (Pappersbruk) gelandet, für deren Versorgung der Dalslands Kanal ursprünglich ja einmal gebaut worden war. An den Ufern des oberen Upperudshöljen sehen wir gleich mehrere davon und sind eigentlich von dem Anblick der qualmenden Ungeheuer nicht so begeistert. Die Karte verspricht auch, daß es im weiteren Verlauf des Kanals so bleiben wird und wir damit eher in eine Industrielandschaft fahren werden. So wird also wieder einmal beratschlagt, was zu tun ist: Zwei Tage könnten wir noch weiterfahren, bevor unser Urlaub endgültig zu Ende geht. Dann hätten wir ohne Frage den Vännern - und damit das Ende des Kanals - erreicht und könnten bei Köpmannebro in die Eisenbahn steigen. Die andere Alternative ist, bei Åsensbruk, in Håvreström am niederen Upperudshöljen, bereits in die Bahn zu steigen und es an dieser Stelle mit dem Dalslands Kanal bewenden zu lassen. Angesichts der Papierfabriken fällt uns die Entscheidung eigentlich nicht so sehr schwer. Wir packen zusammen.
Håvreström schläft bereits, als wir am Bahnhof mit unseren zusammengefalteten Booten ankommen. Kein Bahnhofsgebäude geöffnet, kein Schalter zum Kaufen einer Fahrkarte, nur ein Fahrplan, der besagt, daß hier heute kein Zug mehr fährt. Ein Hotel ist weit und breit nicht zu sehen, ein Campingplatz schon gar nicht und was bleibt uns übrig? Wir campieren auf dem Bahnhof: Wegen des mittlerweile erheblichen und kalten Windes wird auf den Schienen gekocht, denn die höheren Bahnsteige geben etwas Schutz, damit unsere kleinen Kocher nicht ausgehen - und ein Zug kommt ja nicht mehr... Geschlafen wird auf und unter zwei Bänken, die wir in dem kleinen überdachten Eingang zum Bahnhofsgebäude finden. Bequem ist das nicht, aber wir sind wach, als der Bahnhofsbetrieb wieder losgeht.
Der Fahrkartenkauf ist sehenswert: Wir verstehen den Fahrplan nicht, denn der zeigt nur Fahrten in die nähere Umgebung, mit Englisch versuchen wir der freundlichen Frau am Schalter klarzumachen, daß wir nach Hamburg wollen und unsere Boote als Gepäck aufgeben möchten - die kann aber kein Englisch. Nach einer knappen Stunde haben wir Fahrkarten, immer noch unsere Boote und außerdem verstanden, daß die Frau uns bereits am vergangenen Abend auf dem Bahnhof campieren gesehen hatte (irgendwie haben wir das Gefühl, daß uns genau das jetzt wenig nützt...).
Nun, wir nehmen den ersten Zug in Richtung Süden und erhalten zur Fahrkarte noch schnell einen Zettel, auf dem die Umsteigebahnhöfe vermerkt sind: Zweimal umsteigen - und das mit dem Gepäck. Aber, oh Wunder, die freundliche Bahnbedienstete hat uns bereits angekündigt und zu unserer Überraschung steht am ersten Umsteigebahnhof ein Gepäckträger mit Sackkarre bereit, um unsere Boote zum Anschlußzug zu transportieren. Am zweiten Bahnhof dasselbe! Auch dort wieder der vorbestellte Gepäckservice! Wir wundern uns - aber auf höchst angenehme Weise - daß internationale Verständigung nicht unbedingt etwas mit Sprache zu tun haben muß.
Irgendwo unterwegs geben wir dann die Boote doch noch als Bahnfracht auf und kommen so mit leichterem Gepäck am Abend des 15. August 1979 wieder zu Hause in Hamburg an. 26 Tage in frischer Luft unterwegs; da muß man sich an das Schlafen zu Hause im richtigen Bett, in einem festen Haus und an das Getriebe der Großstadt überhaupt erst einmal richtig wieder gewöhnen...