Donnerstag, 29. Juli
Ein herrlicher Morgen! Es ist noch immer so still, wie am Abend aber keine Wolke weit und breit! Im Segelclub liegen unsere am Vortag bezahlten Brötchen einfach auf der Fensterbank und das Frühstück im Cockpit wird von allen genossen.
Gestern kam der Wind genau gegenan - also vorwiegend aus West. Wenn wir heute nicht wieder motoren wollen, sollten wir nicht wieder nach Westen fahren. Damit steht das Tagesziel fest: Ærøskøbing. Das liegt von hier aus im Südosten. Nur, ohne Wind ist das auch egal und bislang rührt sich kein Lüftchen.
Auf Höhe von Avernakø sehen wir eine große Anzahl von Ankerliegern, die geschützt hinter dem Steilufer der Insel die Nacht verbracht haben. Im gleißenden Sonnenschein des Vormittags sieht das Panorama aus gelbem Strand, dem grünem Land darüber, ringsum blauem Wasser mit den aus der Ferne weiß schimmernden Booten und das alles unter einem azurblauem Himmel wirklich so aus als wären wir in der Südsee. Dazu kommt gleich hinter der Durchfahrt zwischen Avernakø und Drejø auch noch etwas Wind auf. Jetzt heißt es: Segel hoch und genießen. Denn der Wind kommt wieder aus West und je weiter wir auf Kurs nach Ærøskøbing gehen, desto flotter wird die Fahrt. Unsere Rechnung ist aufgegangen.
Aber nicht nur das: Es ist die Wende. Das Virus "Segeln" hat sein altes Opfer wieder voll im Griff. 15 Jahre lang war es unterdrückt, gar besiegt geglaubt. Und nun ist nach nur sechs Tagen wieder klar, daß die Welt erst richtig in Ordnung ist, wenn der Bug durchs Wasser rauscht, der Steg im Hafen schwankt und nicht das Schiff, wenn Schoten, Fallen und Strecker so lange gefiert, gelupft und gezupft werden, bis auch die letzte Beule aus dem Segel heraus ist!
Ausschlaggebend ist sicher auch, daß auf diesem Schiff wirklich alles funktioniert, daß alles dort ist, wo man es erwartet und daß es zwar ziemlich luvgierig aber auch ungeheuer gutmütig segelt und insgesamt sehr große Sicherheit vermittelt. Wir haben selten mal ein derart perfektes und geradezu liebevoll gepflegtes Charterschiff gefahren!
Wen schert es da wirklich, daß kurz vor der Ansteuerung Ærøskøbing ein holländischer Dreimaster unter Vollzeug dicht unterhalb der Küste merkwürdige Manöver fährt und plötzlich wendet, sodaß sein Kurs genau quer zu unserem kommt. Ach, er kommt gar nicht. Liegt breitseits im Wind. Sitzt wohl fest? Nun ja, freischleppen können wir den nicht.
Inzwischen haben wir die Ansteuerungstonne erreicht und pöttern unter Motor in den Hafen. Dieser ist, wie zu erwarten war, brechend voll. Aber heute klappt sogar die Hafenrundfahrt in den engen Schlengeln mit dem Faltpropeller. Auch wenn uns schließlich nur das Päckchen am Stegkopf bleibt - was soll's, bei so einem Tag!
Freitag, 30. Juli
Da der Kurs gestern so gut gepaßt hat, um auch bei dem leichten Wind gut zu segeln, beschließen wir, heute das Ganze umgekehrt zu machen und nach Fåborg zu fahren. Die Inseln sehen von der "anderen Seite" ohnehin ganz anders aus und letztlich ist es eigentlich egal, wohin man fährt.
Auch diese Rechnung geht auf. Wir segeln bis der Wind ganz weg bleibt - was kurz vor Fåborg passiert. Im Hafen ist er dann wieder da - aus der anderen Richtung und nicht zu knapp. Jetzt muß die Euphorie von gestern bewiesen werden, denn es geht mit auflandigem Wind in die engen Schlengel des alten Stadthafens und natürlich ist die einzige freie Box so eine, in die wir mit achterlichem Wind einlaufen müssen (Gruß an den Faltpropeller). Doch es geht. Mittlerweile sitzen die Handgriffe wieder und das Gefühl für die Schiffsbewegungen ist tatsächlich wieder da.
Fåborg selbst gefällt uns nicht übermäßig gut, aber im alten Stadthafen ist Hafenfest - und das ist schon mal etwas anderes.
Niedrige, dunkle Wolken ziehen rasch über den Hafen. Zum Brötchenholen hat es gerade noch gereicht, dann beginnt es zu regnen - und zu gewittern. Heute sollte es nach Lyø gehen. Ja, wirklich! Nur sechs oder sieben Meilen. Auf Lyø waren wir nämlich auch noch nicht, haben aber gehört, daß man dort einlaufen muß, wenn die Gastlieger quasi noch schlafen, um sofort bei deren Auslaufen einen Platz zu ergattern. Da kann man also nicht von weit her kommen.
Aber bei Gewitter auf See? Das hatten wir vor vielen Jahren schon einmal vor Klintholm gehabt. Dort sah ich zum ersten Mal einen Kugelblitz - gar nicht weit weg von unserem Schiff. Und wie der so über das Wasser lief, war ziemlich unheimlich.
So gegen 11 Uhr grummelt es nicht mehr und es los gehen. "Die auf Lyø sind garantiert auch nicht im Gewitter losgefahren." Wir hätten wohl eine Chance. Ich bin nicht sicher, ob wirklich Schluß ist, denn die Wolken im Nordwesten sprechen eine andere Sprache - und mein Bauch auch. Gerade als ich dann doch das Ölzeug hervorsuche, beginnt alles von vorn - nur heftiger: Gewitter und kein Wind. Dafür Regen in geradezu tropisch großen Tropfen, die wie Hagelkörner auf das Deck und in das Hafenbecken prasseln. Ein Spektakel, wie wir es lange nicht gesehen haben.
Da das Ölzeug nun mal daliegt, ziehen wir es an und bummeln durch die Stadt. Kaufen eine Zeitung (die erste im Urlaub) und ersteigern bei der Fischauktion (auf dänisch) drei Schollen. Erst am späten Nachmittag endet das Wetterspektakel und das Hafenfest geht wieder los.
Der Spuk ist vorbei. Wetter, brillant wie zwei Tage zuvor. Wind, sehr mäßig, reicht aber, um gemächlich bis nach Lyø zu kommen. Gegen 11 Uhr sind wir da. Und richtig: Jetzt laufen die Gastlieger des Vortages aus und wir bekommen paßgenau eine prima Box. Bug im Wind und Sonne ohne Ende! Etwa eine Stunde später ist der "Bettentausch" vollzogen und im ganzen Hafen kein freies Fleckchen mehr zu bekommen. Dafür baut sich am Ende des Hafenbeckens, am Quersteg, ein Päckchen auf, das bis zum Abend auf 10 (!) Schiffe anwachsen wird.
Wir erkunden die sonntägliche Insel, genießen im Vorgarten des einzigen Kaufladens ein kaltes Øl und schlendern über den Friedhof (die Kirche ist leider geschlossen) zur Dorfschule und wieder zurück zum Schiff. Die Stille, der Friede, das hübsche Dorf mit den gepflegten Gärten vor den Fachwerkhäusern, in denen alte Bäume Schatten spenden, Rosen und Stockrosen ihre Blüten leuchten lassen. Die sanft geschwungene Landschaft der Insel - es ist einfach unglaublich schön hier.
Viele der später ankommenden Schiffe versuchen gar nicht erst im Hafen noch unterzukommen und so wächst die Zahl der Ankerlieger links und rechts vom Hafen beständig. Es ist ein schönes Bild als die Sonne untergeht und ein Ankerlicht nach dem anderen zu funkeln beginnt.
Und wieder einmal: Geburtstag. Runder Geburtstag!. Da wird ein kleiner Geburtstagstisch aufgebaut und natürlich sollen auch Blumen dabei sein. Aber - Blumen an Bord? Das geht nicht! Beim Brötchenholen kommt der rettende Gedanke: Calendula! Die Heilpflanze, aus der man Creme und Tees herstellen kann. Sie blüht hübsch gelb und orange, wächst auf der Insel vielfach wild und ist - na, eben keine Blume sondern eine blühende Medizin! Und weil zu so einem Tag auch ein formidables Essen gehört, möchte ich nach Marstal fahren, denn dort erinnere ich aus früheren Zeiten ein gutes Hotel.
Unsere Kleine nörgelt. Sie möchte hier bleiben. Aber unsere Reise geht in dieser Woche zu Ende. Am Donnerstag müssen wir wieder in Kerteminde sein, um am Freitag das Schiff abzugeben. Natürlich wissen wir, daß wir in zwei strammen Tagen dort sein könnten, aber weil wir bislang nicht gehetzt haben, wollen wir es auch diese Woche nicht tun. Also auf nach Marstal.
Bei uns an Bord gilt seit je her die Regel, daß es vor 12 Uhr keinen Alkohol gibt, worunter auch Bier oder Sekt fällt - und die wird eisern eingehalten. Deshalb ist es genau 12 Uhr als heute der Sektkorken knallt, um mit einem traditionellen Ostprodukt (Rotkäppchen) auf das Geburtstagskind anzustoßen. Sektgläser sind keine an Bord und daher merken wir erst an unserem leicht beschwingten Zustand, daß die verwendeten Universalgläser ein offenbar riesiges Fassungsvermögen haben und nach dem ersten Glas die Flasche schon gut halb leer ist… Egal, der Wind weht leicht und angenehm raumschots, das Schiff fährt beinahe von selbst - und nach dem zweiten Glas ist die Flasche eben ganz leer.
Nach einer interessanten Fahrt durch das Mørkedyb erreichen wir am Nachmittag Marstal. Die extra mitgenommenen feinen Klamotten werden angepellt, Man hat sich sogar Stöckelschuhe mitgenommen, und ab geht es in die Stadt. Leider finden wir das Hotel nicht und wandern, bzw. staksen etwa eine Stunde kreuz und quer durch die Kopfsteinpflasterstraßen (wieder zu Hause, erfahren wir, daß es bereits vor vielen Jahren abgerissen wurde). Dann gibt es halt ersatzweise ein gutes Essen im Yachtclub und abschließend ein zweites Rotkäppchen im Cockpit.
Dienstag, 3. August
Heute soll es wieder nach Norden, nach Dageløkke, gehen. Dazu wollen wir an Rudkøbing vorbei und unter der großen Brücke zwischen Langeland und Tåsinge hindurch. Leider steht der Wind ziemlich genau gegenan - zwar gar nicht mal so stark, aber in der engen Rinne baut sich eine kurze steile Welle auf.
Wir fahren Fahrstuhl! Welle rauf und "klatsch" ins Wellental. Wieder rauf, "klatsch" - und so weiter und so fort. Die Alouette gebärdet sich wie ein bockiges Pferd und der ach so großartige Faltpropeller rührt vornehmlich die Ostsee um, hat jedoch größte Mühe, unser Schiff mit den parallel zu uns fahrenden mithalten zu lassen. Ruhiger geht's bei denen natürlich auch nicht zu, aber sie sind halt schneller und damit eher aus der engen Rinne wieder raus.
Endlich haben auch wir es geschafft. Die Segel gehen hoch und der Faltpropeller darf sich endlich wieder zusammenfalten... Kurs Dageløkke. Wird aber nichts, denn der Wind kommt aus NNE. Also aufkreuzen! 30 Minuten auf 345 Grad und eine halbe Stunde auf 80 Grad. Dann wieder 30 Minuten auf 335 Grad und mal peilen, wo wir sind.
Ergebnis: Die nach Norden gutgemachte Strecke beträgt knapp eine Seemeile… Die Alouette kommt nicht unter 110 Grad Wendewinkel und läuft mit 55 Grad am Wind bei guten 5 Bft. gerade noch mit 2 bis 3 Knoten. Das deprimiert.
Also bemühen wir doch noch einmal den Motor und ändern auch gleich unser Tagesziel. Wenn schon mit Maschine, dann lieber etwas weiter nach Norden - wieder nach Lundeborg.
Herrliches Wetter - nur der Wind könnte üppiger wehen. Wir haben uns Korsør als Ziel gesetzt, weil wir morgen durch das große Brückenjoch der Beltbrücke fahren wollen. Außerdem kennen wir Korsør nicht.
Im Kobberdyb verläßt uns der Wind völlig und es muß wieder die Maschine schieben. Die Ostsee ist platt, wie ein Brett. Und Herumdümpeln ist heute nicht angesagt, denn die Sonne scheint nach italienischer Art. Wir mummen uns in Handtücher und setzen Mützen auf, um nicht zu verbrennen und um es in der Hitze überhaupt aushalten zu können. Selbst der Fahrtwind scheint mit uns mit zu fahren.
Gegen drei Uhr liegen wir im Hafen und stellen fest, daß Korsør nicht unbedingt eine Reise wert ist. Ein großer, aber wenig frequentierter Yachthafen, eine - für dänische Verhältnisse - riesige Militäranlage direkt daneben und eine wenig hyggelige, ziemlich betriebsame Stadt.
Nebel! Das heißt in aller Ruhe frühstücken und abwarten, bis das Getute der Nebelhörner aufhört. Um halb Elf ist es endlich soweit und wir legen ab zum letzten Schlag nach Kerteminde.
In der Nähe der Brücke muß wieder die Maschine den Kurs stabilisieren. Das große Joch schaffen wir ohnehin nicht mehr denn wir werden, trotz guter Fahrt, immer weiter an die riesigen Pylone und ihre Verankerungen gedrückt - oder gesogen. So genau läßt sich das nicht feststellen, denn das Wasser sieht hier aus, als würde es kochen. Also mit Segeln und Maschine durch das östliche Nebenjoch und auch gleich noch über das Verkehrstrennungsgebiet. Dann: Maschine aus, Selbststeuerung an und jetzt genießen wir den letzten Anlieger bis zum Hafen.
Dort tanken wir, suchen die heimatliche Box der Alouette auf, packen mit einer gehörigen Portion Wehmut die ersten Taschen für die morgige Heimreise und sortieren die meisten der mitgebrachten Getränke wieder in den Skisarg ein (der Wein wird noch bis Weihnachten reichen, Rum wurde überhaupt keiner getrunken, Sekt ist noch für zwei weitere Geburtstage vorhanden und der restliche Sherry reicht auch noch für die nächsten Monate zu Hause im Garten...).
Und so, wie der Törn begann, endet er dann auch: Auf der Terrasse des Yachtclubs mit einer herrlichen gefüllten Scholle, einem gepflegten kalten Øl und einem zunftigen Gammel Dansk zum Abschluß.
Wie sonst?