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8. Juli 2002

An einem Montag - unser Zeitplan will es so - packen wir morgens in Hamburg unsere Räder und fahren am frühen Nachmittag los. Die Sonne scheint herrlich und die erste Etappe soll nur bis nach Elmshorn gehen. Dort wohnen Freunde, die wir viele Jahre lang nicht gesehen haben und die uns eine Übernachtung bei sich zu Hause angeboten hatten.

Leichtsinnig, wie wir sind, nehmen wir nur eine Karte vom ADFC (1:150.000) mit und lassen den Stadtplan von Hamburg zu Hause - wir kennen uns ja aus... Die erste PanneNatürlich hat das zur Folge, daß wir uns bereits in Norderstedt verfahren und hinter Quickborn, in der kleinen Ortschaft Renzel, wo wir quer durch das Moor zum Ochsenweg aufschließen wollen, schon gleich wieder. Die Fahrt auf groben Schotterwegen ist hier landschaftlich zwar sehr reizvoll, aber die Orientierung haben wir völlig verloren. Und nun ist auch noch mein Vorderreifen platt, weil irgendwo im Schotter Glasscherben herumlagen. Der Mantel des Reifens ist richtig aufgeschlitzt - gut, daß wir kräftiges Textilklebeband dabei haben, um den Mantel von innen zu verstärken. Hoffentlich hält das bis Elmshorn!

Tut es, aber die Geschäfte haben bereits geschlossen, so daß wir den defekten Vorderreifen heute nicht mehr ersetzen können. Dann eben morgen.


9. Juli 2002

Gesagt, getan, der Reifen ist wieder in Ordnung. Ein letzter Blick auf die Karte und wir fahren wieder los. Heutiges Ziel: Hochdonn am Nord-Ostsee-Kanal.

Leider wußten unsere Freunde offensichtlich nicht, wo ihr Domizil in der Karte zu finden war, denn in Neuendorf, kurz hinter Elmshorn, ist bereits klar, daß wir schon wieder falsch gefahren sind: Sieben Kilometer Umweg. Allerdings kommen auch Zweifel an der Korrektheit der Karte auf. Marktplatz von KrempeDie Wirklichkeit sieht irgendwie ganz anders aus... Unsere Ahnung bestätigt sich, nachdem wir ziemlich skeptisch einer der Karte widersprechenden örtlichen Beschilderung folgen - und wirklich das Ziel erreichen. Stellt sich die Frage, wie wir mit dieser Karte nach Dänemark kommen sollen? Es ist unsere einzige!

Nun, die nette kleine Stadt Krempe erreichen wir trotz der Karte und nach kurzer Rast auf dem malerischen Marktplatz - ein wenig Obst wirkt Wunder an diesem heißen Tag - peilen wir die Störfähre bei Beidenfleth an, um auf die andere Flußseite zu gelangen. Das Übersetzen funktioniert hervorragend, denn die Fähre kommt sofort nach unserer Ankunft am Fähranleger zu uns herüber.

Störfähre bei BeidenflethDann geht es immer am Deich entlang - leider auf der Seite, auf der man vom Fluß nichts sieht - bis wir auf die Wilster Au treffen und links abbiegen, um ihr bis nach Aebtissinwisch stetig zu folgen. Wie gut, daß wir uns in diesem Bereich - übrigens dem geographisch niedrigsten Gebiet Deutschlands - auf den Fluß als Orientierung verlassen können, denn die lokalen Wegweiser der Tourismus fördernden Institutionen sind ein wahrer Witz: Mitten in der Landschaft treffen wir auf Schilder für Radler, die mit einem Pfeil und einer Nummer ausgestattet sind, die aber keine Aussage beinhalten, wohin der jeweilige Weg führt.

So fahren wir erst eine Weile nach 2, um dann nach 8 abzubiegen. Schließlich entscheiden wir uns, doch nicht nach 9 zu fahren, sondern wieder weiter nach 2 zu radeln. Erst lachen wir über diese Schildbürgerstreiche, aber in der mittlerweile sengenden Hitze - uns kommt selbst der Fahrtwind glühend heiß entgegen - empfinden wir die von den Schildern ausgehende Desorientierung dann doch als äußerst lästig. So ein Quatsch!

Schließlich erreichen wir die Kanalfähre bei Burg und können übersetzen. Auch das klappt hervorragend schnell und wir sind rasch in Hochdonn auf dem Campingplatz Klein Westerland, um unsere Zelte für dieses Jahr zum erstenmal aufzubauen. NOK bei HochdonnHier gibt es für Zelter - die meisten Camper sind (übrigens sehr friedliche und freundliche) Dauercamper - eine gut windgeschützte Ecke mit einem Waschbecken und einem Partyzelt als Regen- oder Sonnenschutz. Letzteres nehmen wir heute überaus dankbar an!

Doch was soll einem derart heißen Sommertag schon folgen, wenn nicht ein kräftiges Gewitter. Und so wird unser abendliches Alsterwasser auf einer Bank am Nord-Ostsee-Kanal zunächst von dicken, finsteren Wolkentürmen bedroht, bis uns dann die Regentropfen ermahnen, für diese Nacht endlich im Zelt zu verschwinden.


10. Juli 2002

Am nächsten Morgen ist es neblig und kühl. Hochdonn ist kein sehr einladender Ort, weshalb wir rasch unsere Zelte abbrechen und losfahren. Tagesziel ist der Wesselburener Koog, kurz vor dem Eidersperrwerk. Wir wollen also heute auf den offiziellen Nordseeradweg treffen. Bis es soweit ist, haben wir allerdings wieder mal mit unserem Kartenwerk zu kämpfen, denn die lokale Beschilderung, die Kartenangaben und die real existierenden Straßen stimmen überhaupt nicht überein und sorgen dafür, daß wir, um die etwa 4 Kilometer Strecke bis Krumstedt gut zu machen satte 9 Kilometer kreuz und quer durch die allerdings hübsche Landschaft fahren...

Unterwegs im Speicher KoogAußerdem suchen wir schon wieder ein Radgeschäft, denn am Abend habe ich zufällig bemerkt, daß die Glassplitter des ersten Tages dem Hinterreifen ebenfalls übel zugesetzt hatten. Auch dieser Mantel ist zerschnitten - obwohl der Schlauch die Luft hält. Nur wer weiß, wie lange noch? Also soll Meldorf eine Etappe sein, denn dort ist in der Karte ein Servicegeschäft für Radler eingezeichnet.

Selbiges ist auch rasch gefunden und ein neuer Schwalbe Marathon erstanden. Aber dann kommt es dick: Die Trinkflasche von unserem Großen ist seit einiger Zeit undicht und wir sehen in dem Fahrradladen einen Ersatz. Der wird für 2,55 Euro gekauft, wobei der alte DM-Preis auf der Flasche von der Ladenkasse prompt und korrekt umgerechnet wird. Vor dem Laden angekommen, will unsere Kleine - ob des besseren Designs der neuen Flasche gegenüber ihrer alten und auch weil die neue größer ist - ebenfalls so ein Teil haben. Also wieder in den Laden und noch so eine Flasche aus dem Regal genommen.

Aber diesmal schwant der findigen Ladenbesitzerin, daß sie soeben einen gravierenden Fehler gemacht hat und daß sie, seit der Umstellung von DM auf Euro, mit ihren anderen Altbeständen doch auch mehr verdient hat, als vorher. Sie geht deshalb nicht mit der Flasche zur Kasse, sondern in ihr Büro, murmelt etwas von neuen Preisen und von Euro vor sich hin und wälzt so lange in ihren Unterlagen, bis sie einen neuen Preis gefunden hat - oder wir das wenigstens glauben sollen. Schwupp, wird das alte DM-Preisschild entfernt und ein neuer Preis von 3,99 Euro in die Kasse getippt. Satte 12% Preissteigerung in weniger als drei Minuten. Das ist eine wahrlich unrühmliche TEuro-Leistung. Pfui!

Der in mir dabei aufkeimende Gedanke, dieses TEuro-Theater nicht mitzumachen, wird allerdings durch das glückliche Gesicht meiner Tochter und die Tatsache, daß sie mit der Flasche schon auf dem Weg zum Ausgang dieser Geldentwertungshöhle ist, gleich wieder erstickt und so zahle ich zähneknirschend.

Der Radweg ist erreichtNever change a running system heißt es warnend in meinem Job und daher nehmen wir nun nicht auf der Stelle mein Hinterrad auseinander, um den neuen Mantel zu montieren, sondern fahren erst einmal weiter, mit der Neuerwerbung um die hintere Gepäcktasche geschlungen wie Django seinen Patronengürtel um die Schulter trug. Damit sehe ich jetzt zwar aus, als wollte ich quer durch die Sahara oder auf direktem Wege zum Ayers Rock, aber leichter macht mir das die restliche Fahrt trotzdem nicht.

Der Wind hat nämlich wieder gedreht und wo er bislang eher seitlich kam, steht er nun wieder genau von vorn und nimmt beständig zu, je weiter wir uns der Küste nähern. Ziemlich in der Mitte des Speicher Kooges erreichen wir den offiziellen Nordsee-Radweg und folgen diesem bis Büsum. Es ist ein harter Tag, da der Wind noch weiter zunimmt und so kommt in Büsum nicht nur mir der Gedanke, hier für heute Schluß zu machen - zumal es bereits später Nachmittag ist. Aber der Familienrat beschließt, dies nicht zu tun (die Touri-Horden haben irgendwie abschreckend gewirkt) und doch bis zum Wesselburener Koog weiterzufahren.

Watt vor hinter BüsumUnsere Entscheidung wird nicht unbedingt belohnt, denn zu dem mit nunmehr gut 7 Bft. wehenden Wind gesellt sich noch Regen, der in tiefhängenden Wolken von der Nordsee über den Deich zu uns hereinrauscht. Da ist es schon fast egal, ob wir gegen den Wind fahren oder ob er leicht seitlich einfällt. Dann plötzlich beginnt das Gepäck auf dem Rad von unserem Großen bedenklich zu schwanken und wir müssen feststellen, daß sein Gepäckträger defekt ist. Eine der Lötstellen ist gebrochen und nun fehlt dem ganzen Aufbau der notwendige Halt. Da ist im Augenblick nicht viel mehr zu machen, als etwas Textilband um die Streben zu kleben und zu hoffen, daß er damit bis zum Campingplatz durchkommt. Naß und müde haben wir nach einer guten Stunde den Platz erreicht und bauen im Regen, aber im Schutze einer großen Hecke die Zelte auf. Zumindest der Wind kann uns nicht mehr viel antun.

Als wir schließlich im nahegelegenen Kiosk etwas essen, zeigt uns das Wetter, daß es tagsüber noch eher friedlich gewesen ist: Es regnet nicht mehr, es schüttet wie aus Kübeln und der Wind ist zum Sturm geworden, der das Wasser fast waagerecht über die flache Landschaft und über den Zeltplatz hinweg jagt. In wenigen Minuten stehen Wege und Wiesen unter Wasser und auf dem Rückweg zum Zelt holen wir uns reichlich nasse Füße.


11. Juli 2002

Schott des EidersperrwerksAm nächsten Morgen ist der Regen gewichen, nur der immer noch heftige Wind treibt weiße Wolkenfetzen an einem ansonsten blauen Himmel über uns hinweg. Die Wiese steht immer noch unter Wasser - was man fieserweise nicht sieht, denn das Wasser ist unter dem Gras verborgen - und so gibt es gleich wieder nasse Füße. Außerdem ist es empfindlich kalt geworden und das Frühstück fällt dementsprechend knapp aus. Zelteinpacken macht dann wieder warm und zum Abschluß repariere ich noch den gebrochenen Gepäckträger mit einem seemännisch fachgerechten Takling aus einer Zeltabspannliene. Ein Fahrradgeschäft ist weit und breit nirgends, in der Takelage von Segelschiffen gibt es auch keine Lötstellen und gut gemachte Taklinge halten Jahrzehnte und sitzen bombenfest.

Endlich geht es wieder los. Unser erstes Tagesziel, das Eidersperrwerk, haben wir schnell erreicht. Auflaufendes Wasser und geöffnete Wehre erzeugen ein rauschendes Szenario - wirklich sehenswert! Gleichfalls sehenswert ist aber auch Tönning, das wir mit herrlichem Rückenwind während der Fahrt durch das Katinger Watt erreichen.

Hafen von ToenningTönning ist eine Stadt mit engen Straßen, alten kleinen Häusern und einem romantischen Hafen, in dem viele Segelboote liegen. Die meisten Freizeitskipper wollen wahrscheinlich die Eider befahren, einige warten aber sicher auch darauf, von hier nach Helgoland aufzubrechen. Wir waren schon oft hier und so ist unsere Fahrt durch die Stadt eher eine Auffrischung schöner Erinnerungen, als eine Betrachtung der sehenswürdigen Altstadt.

Die Beschilderung ist ausgezeichnet und schnell ist der Weg nach Oldenswort gefunden, denn hierüber wollen wir nach Husum, Theodor Storms grauer Stadt am Meer. St. Peter-Ording und die Halbinsel Eiderstedt sind uns zu viel Umweg, obwohl sicher erlebenswerter Bestandteil des Nordsee-Radweges für Leute, die nicht aus dem Norden kommen.

Dann erreichen wir Husum und sehen, daß die Stadt überhaupt nicht grau ist, sondern von Touri-Massen bevölkert recht bunt daherkommt. Also schnell etwas zu Mittag essen und weiter. Touri-Massen sind nicht unser Fall. Viel angenehmer ist es, hier mit gutem Rückenwind vor dem Deich fahren zu können und immer einen schönen Blick auf die Nordsee zu haben. Abendstimmung am WattSo kommen wir nach Schobüll und an den Damm zur Halbinsel Nordstrand, auf den wir sogleich abbiegen. Diese Richtung ist vom Wind her gesehen natürlich wieder die falsche, denn die fünf Kilometer am Damm entlang und die weiteren Kilometer über die Halbinsel gehen jetzt gegen den Wind - und sind zum Tagesende dementsprechend anstrengend.

Müde bauen wir unsere Zelte im Elisabeth-Sophien-Kooog auf Nordstrand auf. Witzigerweise heißt der aus vielleicht zehn Häusern bestehende Ort Oben - obwohl Öde viel besser gepaßt hätte, denn außer Weiden und Windrädern ist weit und breit nichts zu sehen. Selbst das Wasser ist weg, als wir nach dem Abendessen noch einmal über den Deich schauen.

Auf NordstrandHier wird nun doch das Running System gegen den Django-Gürtel getauscht, denn es weht zwar kalter Wind aber es ist sonnig und trocken. Beim Abziehen des Mantels und der sich anschließenden Schlauchkontrolle stellt sich heraus, daß das Felgenband marode und an einigen Stellen seitlich verrutscht ist, wodurch der Schlauch an der Felge festkleben konnte. Davon gelöst, hat er auch schon ein paar Löcher, die geflickt sein wollen. Gut, darin haben wir ja Übung und so ist die Prozedur nach zwanzig Minuten erledigt. Auf unserer Einkaufsliste stehen: Ein neues Felgenband und ein neuer Schlauch.

Morgen muß der geflickte aber noch halten, denn es soll über Holmer Siel, Lüttmoor Siel und die Sönke-Nissen-Koog-Schleuse, vorbei an der Hamburger Hallig immer vor dem Deich entlang nach Dagebüll gehen - eine Tour ohne Fahrradladen in Sichtweite. Trotz der hohen Überfahrtskosten und des rasant teuren Campingplatzes dort, planen wir nämlich, einen Tag Pause auf Amrum einzulegen und erst am Sonntag weiterzufahren.


12. Juli 2002

Damm von NordstrandDie Fahrt wird unerwartet unterbrochen, weil der gerade gestern reparierte Hinterreifen kurz hinter dem Damm nach Nordstrandischmoor platt macht. Wegen des maroden Felgenbandes hat sich der Schlauch an den Speichenköpfen gerieben. Da muß neben dem normalen Flickzeug auch noch einmal das Textilklebeband herhalten, um die Speichenköpfe dauerhaft abzukleben. Hoffentlich bekommen wir auf Amrum ein passendes Felgenband.

Prickenschute im WattDie weitere Fahrt vor dem Deich ist dann zwar pannenfrei aber etwas trist ist sie schon - es sei denn, man ist eingefleischter Wattfan: Die Nordsee ist meist weit weg und das Wasser nicht zu sehen, interessante Wattvögel oder andere Tiere sind erstaunlich wenige anzutreffen (zwei große Brachvögel, sonst nur Möven) und rechts neben uns ist immer der Deich, auf dem hier und da eine Horde Schafe ihre Määh-Arbeiten verrichtet.

Kurz vor Ablegen der 15:00 Uhr-Fähre nach Wittdün erreichen wir den Fährhafen in Dagebüll, kaufen rasch die Überfahrtskarten (mein Portemonnaie weint beim Anblick des Preises und selbst meine Kreditkarte knirscht beim Bezahlen mit den Zähnen) und sitzen wenige Minuten später auf dem Achterdeck als die Fähre ablegt. Fähranleger in DagebüllDie See ist wie ein Brett, die Sonne strahlt aus einem blauen Himmel, fern am Horizont stehen weiße Wolken und je weiter sich Dagebüll entfernt, desto näher kommt zunächst Föhr mit seinem umtriebigen Hauptort Wyk und schließlich nach gut 90 Minuten auch Wittdün auf Amrum.

Der Campingplatz ist reichlich belegt, aber in den Dünen findet sich immer noch ein Plätzchen für Zelter. So auch für uns. Und mit einem Glas Bier sowie einer frisch gegrillten Bratwurst lassen wir den ersten größeren Teil unserer Reise ausklingen. Morgen wird Amrum erkundet (und natürlich der Einkaufszettel für die Ersatzteile abgearbeitet) und am Sonntag soll endlich Dänemark erreicht werden.