© 2008 by www.benn-family.de

Sommer 2004: Es geht wirklich los!

52 Flaschen Bier, 24 Flaschen Wasser, ebensoviel Apfel- und Traubenschorle, einige Sixpacks Cola, 6 Flaschen Sekt, 2 Flaschen Sherry, 2 Flaschen Rum (es könnte ja kalt werden) und zweimal 5 Liter Wein (weil Wein im Schlauch viel platzsparender ist als in Flaschen und Weinschläuche mit weniger Inhalt gibt es nicht) sind im Auto verstaut. Für anderes Gepäck ist kaum noch Platz. Der "Skisarg" muß auf das Dach montiert werden.


Wollten wir segeln oder in Dänemark eine Kneipe eröffnen?Die Charterflotte


Freitag, 23. Juli

Wir stehen mit unserer Wagenladung Proviant und allem sonstigen Gepäck vor der Alouette, unserem 31-Fuß-Zu-Hause für die nächsten 14 Tage. Mir ist mulmig im Bauch. Der Rest der Familie ist offensichtlich fröhlicher als ich - von unserem Großen wissen wir es nicht, denn der mußte gleich nach seinem Abitur zur Bundeswehr und absolviert jetzt seine Grundausbildung bei der Marine (wie passend…). Wir sind also nur zu dritt.

Das Verstauen gestaltet sich wie immer als totales Chaos aus Pappkartons, Flaschen, Ölzeug, Kulturartikeln und Unterhosen. Die Übergabe des Schiffes läuft perfekt, es fehlt nichts, die Ausrüstung ist überkomplett und auf den ersten Blick funktioniert auch alles. Für komplexere Gerätschaften gibt es Gebrauchsanweisungen, alles andere kann man sich durch Ausprobieren erarbeiten - z.B. das GPS-System.

Nach dem formalen Übergabeakt spendieren Inge und Jørgen, denen die Charterfirma gehört, eine Flasche Rosé und wir plaudern im Cockpit als ob wir uns seit Jahren kennen. Wieder alleine, beenden wir den Tag auf der Veranda des Segelclubs - natürlich bei gefüllter Scholle, kaltem Øl und einem Gammel Dansk zum Abschluß.


Wie sonst?


Sonnabend, 24. Juli

Die HR 31 AlouetteDie Alouette hat eine Pinnensteuerung. "Damit bist Du viel wendiger im Hafen als mit einem Rad", hatte Jørgen gesagt, "Du hast direkt in der Hand, wo es hingeht." Das mag ja sein, aber wenn man vor fast 25 Jahren das letzte Mal mit einer Pinne gesteuert hat, kann es eben auch "direkt" in die falsche Richtung gehen.

Die Alouette hat einen Faltpropeller. "Ist viel besser zum Segeln als ein starrer Propeller", hatte Jørgen gesagt. Nur wann wird sich dieser Superpropeller bei Rückwärtsfahrt endlich entfalten und soviel Sog erzeugen, daß ich das Schiff gegen den Wind und ohne Vollgas aus der Box bugsieren kann?

Die Alouette ist für Einhandsegeln ausgerüstet. Alle Schoten und Fallen, Strecker und Niederholer sind durch Tunnel ins Cockpit gelenkt und dort mit Klemmen belegt. Jørgen hatte mir das alles ausführlich und voller Stolz gezeigt, denn jedes seiner Charterschiffe wird von ihm persönlich von Ellös nach Hause gesegelt und in Middelfart so komplettiert, wie er sich "sein" Schiff vorstellt. Und weil die Chartercrews nun einmal international sind, ist jede Klemme auf Englisch beschriftet. Ein toller Service, denn niemand von uns hätte gewußt, wie Baumniederholer oder Achterliekstrecker auf Dänisch heißen - nur, wie sie auf Englisch heißen, weiß auch keiner…

Ade KertemindeGegen Mittag haben wir es wir trotzdem geschafft, aus dem Hafen in die Kerteminde Bugt auszulaufen und stellen fest: Es geht noch, das Segeln. Wir haben es in den vergangenen 15 Jahren nicht völlig verlernt. Manches Manöver dauert etwas länger, will ausführlicher durchgesprochen sein als früher, manches aus seinem Gelcoat-Tunnel lugende Ende stellt sich nicht als das heraus, für was wir es zunächst halten, aber es macht uns Spaß und auch ein kleines bißchen stolz, nach so langer Abstinenz wieder mit einem Schiff unterwegs zu sein.

Ein Ziel haben wir für heute nicht - wir wollen einfach mal sehen, was noch geht (und was nicht). Deshalb sind wir am Abend wieder in Kerteminde. Unser Biervorrat reduziert sich verdientermaßen auf 50 Flaschen.


Sonntag, 25. Juli

Wir haben uns erkundigt: Mit der HR 31 müssen wir nicht durch das Hauptjoch der neuen Brücke über den großen Belt, sondern können die 14 Meter hohe Durchfahrt zwischen Sprogø und Fyn benutzen, um nach Nyborg zu kommen. Ja, Nyborg ist unser heutiges Ziel. Nicht zu weit weg, aber weit genug, um ein paar Stunden unterwegs zu sein. Schließlich haben wir Zeit in Mengen, denn unser Reiseziel ist "nur" die "Dänische Südsee".

Leider hat sich das Wetter arg verschlechtert. Nicht, daß es stürmen würde, nein, es regnet. Es regnet konstant vor sich hin bei mäßigem Wind aus SW und so dauert es lange, nasse Stunden, bis wir die Brücke, die Ansteuerung für das richtige Joch und die Tonnen der Durchfahrt endlich erreicht haben.

Kurz vor dem gekennzeichneten Brückenjoch dreht der Wind auf Süd und wir müssen die Maschine anwerfen, denn das ist jetzt genau unser Kurs. Dann, wir sind bereits zwischen den Tonnen, spüren wir die Auswirkungen der Brücke auf den offensichtlichen Nordstrom: Heftige Wirbel und straffer Strom gegenan lassen das Schiff hin und her schwoien, so daß wir bei guter Fahrt durchs Wasser doch nur langsam voran kommen. Das mulmige Gefühl im Magen ist wieder da. Wie wäre es wohl ausgegangen, wenn wir diese Passage unter Segeln versucht hätten.

RückseitenwetterHinter der Brücke sind Regen, Strom und Wind verschwunden. Wir dümpeln gen Nyborg, nehmen für die Einfahrt wieder die Maschine und bekommen zum Abschluß des Tages, quasi in der Hafeneinfahrt und so überraschend schnell, daß ich nicht mehr komplett ins Ölzeug komme, noch einmal einen richtig kräftigen Schauer übergebraten. Sicht gleich null und die Hose bis auf die Knochen naß. Aber, wir haben es auch heute geschafft.


Montag, 26. Juli

Unser Tagesziel heißt Lundeborg. Das lohnt nicht loszufahren? Nun, eigentlich nicht - stimmt schon - aber fast ohne Wind ist auch der nächste Hafen weit weg. Glücklicherweise hat sich das schlechte Regenwetter etwas verzogen und es sieht mehr nach einer Rückseite aus. Ab und an Sonne und zwischendurch heftige Schauer. Allerdings nicht direkt über uns, sondern mehr über Lundeborg.

Irgendwann wird das Dümpeln langweilig und die Maschine muß wieder mithelfen. So erreichen wir den Hafen am frühen Nachmittag und stellen fest: Hier muß man wohl morgens ankommen, um noch einen Platz zu bekommen.

LundeborgDie Päckchen sind bereits weit fortgeschritten und der Hafen arg eng geworden. Jetzt merke ich, daß Jørgen recht hatte mit seinem Lob auf die Pinnensteuerung. Mir machten zwar enge Häfen früher auch mit dem Rad keine Probleme, aber mit der Pinne ist es doch schneller und präziser. Mit ein wenig Geschick rutschen wir zwischen zwei Päckchen breitseits in eine Lücke, die gerade mal einen guten Meter länger ist als unsere Alouette.

Allerdings werden wir dadurch im laufe des Tages zum Innenlieger eines eigenen Päckchens… Na, was soll's. Wir haben nette Nachbarn bekommen, die sogar ihre Schuhe ausziehen, wenn sie über unser Schiff steigen, und machen ein feines Schwätzchen über das Wetter (sommerlich konstantes, ruhiges Schlechtwetter), über den Bordhund und darüber, ob man wirklich eine Saison braucht, um mit einem neuen Schiff so richtig umgehen zu können. Ein merkwürdiges Thema, wenn man überhaupt nur 14 Tage hat.Svendborg-Sund


Dienstag, 27. Juli

Der Svendborg Sund ruft! Und der Wind steht gut. Nicht viel Wind, aber es reicht, um nett dahinzuschippern. Die Segel stehen gut im leichten WSW und die Sonne scheint. Wir filmen und fotografieren. Ein wenig Navigation lockert den Tag auf. Der Leuchtturm Elsehoved zieht vorüber und auch die Insel Thurø By.

Dann der Kurswechsel und die Überraschung: Der Wind kommt jetzt direkt aus dem Sund, der Strom auch. Zudem so viele Segler, daß man meinen könnte, es wäre in den Häfen am Sund ein Liegeverbot ausgesprochen worden. Irgendwie packt mich die Lust, aufzukreuzen. Aber nach einem Schlag gebe ich schon wieder auf. Wir machen keine Höhe und es ist einfach zu voll. Also Motor an und all denen hinterher, die wir beim Segeln bis zum Sund überholt und die jetzt erst gar nicht ans Aufkreuzen gedacht hatten. Kurs Troense.Waldemars Slot

Unangenehmerweise tränen mir die Augen so heftig durch den scharfen Gegenwind und die gleißende Sonne, der selbst meine phototrope Brille nichts wirklich Ernsthaftes entgegenzusetzen hat (eine Sonnenbrille habe ich nicht), sodaß ich kaum die Ansteuerungstonne erkennen kann. Im Tränenschleier steuere ich mit 225 Grad gleich den ersten Steg neben der Anlegestelle des historischen Dampfers Helge an und sehe, daß wir ins Päckchen gehen müssen. Der Hafen ist voll. Also, langsam anschleichen, kleine Runde fahren und dann einen Skipper um Genehmigung zum Breitseitsgehen bitten. Aber noch bevor wir sein OK richtig umsetzen können, packen uns Strom und Wind und versetzen uns wieder in Richtung Sund. Da hilft nur, rasch eine lange Leine zu werfen und per Hand das Schiff wieder zurückzuziehen. Irgendwie habe ich mich mit dem Faltpropeller doch noch nicht richtig anfreunden können…

Nachmittags statten wir Waldemars Slot einen Besuch ab. Es gibt Protest aus Kindermund wegen des "langen" Fußweges - typisch Segler: Mal bloß nicht weiter als 300 Meter vom Schiff entfernen und zu Fuß schon gar nicht - und in das kleine Seefahrtsmuseum? Überhaupt nicht! So!

Aber Kaffeetrinken und leckeren dänischen Kuchen essen. Mit Pudding drin. Das will man! Und während wir so im Cockpit genießen, zischt es plötzlich bedrohlich laut aus der Kajüte. Ich springe hoch, stürze nach unten und - sehe, wie sich eine der auf dem Tisch liegenden automatischen Rettungswesten aufbläst. Ganz ohne Wasser, ganz ohne unser Zutun. Einfach so. Gut, daß wir fünf Westen dabeihaben.Troense Hafen


Mittwoch, 28. Juli

Troense ist nett. Mir gefällt der Hafen, die schöne Aussicht von unserem Liegeplatz aus und das gute Wetter. "Wollen wir nicht heute hierbleiben? Wir könnten morgens mit dem Bus nach Svendborg fahren und nachmittags wieder bei herrlichster Aussicht im Cockpit leckeren Kuchen essen." Ein Teil der Familie ist einverstanden, der andere nicht. Ihm gefallen weder der Hafen, noch der Ort und schon gar nicht die sanitären Anlagen. Selbst die "Ortsbegehung" von Dusche und WC nützt nichts. Es bleibt bei der Ablehnung. Schade, gegen so hartnäckigen Protest hilft nur: Ablegen.

Sind die Leinen erst einmal losgeworfen, ist jeder Hafen gut. Soll heißen, wir sind heute geradezu ziellos. Im Sund wenig Wind und kräftiger Strom gegenan. Wir motoren. Der Himmel zieht sich zu. Vorsichtshalber mal die Ölhose anziehen. Mit Kuchen im Cockpit wäre es wohl nichts geworden. Das versöhnt. Aber wohin wollen wir eigentlich?

Erster Vorschlag: Ein langer Schlag, rüber nach Als. Dann die nächsten Tage durch den Als Sund, über Hørup Hav wieder zurück in die dänische Südsee. Das unangenehme Gefühl in der Magengegend ist wieder da. Einerseits reizt es mich, noch einmal nach Hørup Hav zu kommen - einer meiner Lieblingshäfen. Andererseits sind plötzlich die Erinnerungen an den Wassereinbruch im Als Sund wieder da. Was für ein Unsinn. Das alles ist 19 Jahre her und es ging gut aus. Aber es sitzt wohl tiefer als geahnt. Jedenfalls bin ich nicht unglücklich, daß wir mit dem vorherrschenden Wind viel zu lange brauchen würden, um diese Runde ohne ständiges Motoren fahren zu können.

Zweiter Vorschlag: Skarø. Wir waren noch nie dort und es ist noch nicht so spät, als daß wir keinen Platz mehr bekommen würden. FjællebroenIm Hafenhandbuch wird die Ansteuerung gut beschrieben und da es nur eine kleine Ansteuerungstonne gibt, wird es auf dem Weg dorthin wohl überall tief genug für uns sein. Wir nehmen also erst einmal Kurs auf die gut sichtbare Mole. Im Blick durch das Fernglas stellt sich allerdings heraus, daß wir doch schon zu spät kommen. Der Hafen ist voll. Alternativen: Avernakø, Fåborg oder Fjællebroen.

In Fjællebroen war ich schon einmal als bei der alten Cosy II die Zylinderkopfdichtung durchgebrannt war. Trotzdem habe ich den Hafen in guter Erinnerung. Wir beschließen, die etwa 1,5 Seemeilen nach Norden zu fahren - und bereuen es nicht! Dieser Hafen ist offenbar bereits so weit abseits des allgemeinen Seglertracks, daß er geradezu vergessen wirkt. Nach uns kommen nur noch zwei Segler, die nicht hier ihren Liegeplatz haben - dabei gibt es reichlich freie Plätze -, an dem winzigen Hafenkiosk treffen sich lediglich ein paar Jugendliche mit ihren Mofas zum Eisessen, die sanitären Anlagen im Segelclub sind gepflegt wie zu Hause und am Abend legt sich absolute Stille über die ganze Szenerie.